Wahnsinn Verbundwerkstoffe
Der Wahnsinn in Bezug auf Verbundwerkstoffe, kurz auch Verbundstoffe genannt, lässt sich so oder so auslegen. Einerseits sorgen Verbundwerkstoffe für Leichtigkeit in unserem Leben, viele Konstruktionen werden dank ihres Einsatzes buchstäblich leichter. Andererseits machen Verbundstoffe uns das Leben schwer, denn sie bilden einen festen Verbund, der schwer zu lösen ist: Um die Wahnsinnsherausforderung, Verbundwerkstoffe zu recyceln, geht’s heute.
Wer den Wahnsinn Verbundwerkstoffe so oder so verstehen will, muss sich zunächst mit ihrem Wesen beschäftigen. Deshalb geht’s hier zunächst darum:
Wahnsinn! Verbundwerkstoffe!
Ist von Verbundstoffen, Verbundwerkstoffen oder auch von sogenannten Kompositwerkstoffen die Rede, dann sind Werkstoffe gemeint, die aus mindestens zwei Materialien bestehen, die miteinander verbunden wurden. Ziel der Materialverbindung ist es, einen Verbundstoff zu erzeugen, der andere – und zwar die vorteilhaftesten der Ausgangsstoffe – Eigenschaften hat, als die einzelnen Ausgangsmaterialien. Man könnte das in einer Formel so ausdrücken: Aus A und B wird C. Welche Eigenschaften der Verbundwerkstoff C am Ende besitzt, das hängt sowohl von den werkstofflichen Eigenschaften der Ausgangsmaterialien A und B ab, als auch von deren Geometrie.
In der Regel handelt es sich bei den Ausgangsmaterialien A und B um sortenreine Grundstoffe. Es können aber auch Verbundwerkstoffe als Komponenten eines neuen Verbunds zum Einsatz kommen. Die Grundstoffe werden für den Verbund gemischt. Dabei lösen sich die Grundstoffe untereinander höchstens oberflächlich. Der zustande kommende Verbund lässt sich mit dem Attribut innig gut charakterisieren: Er soll dauerhaft und belastbar sein.
Welche Grundstoffe eine solch innige Verbindung eingehen, das wird von dem Bauteil und dessen Eigenschaften abhängig gemacht, das daraus entstehen soll. Dabei gilt es, wie in jeder Verbindung zweier grundverschiedener Dinge oft um Kompromisse, die geschlossen werden müssen: Denn bestimmte werkstoffliche Eigenschaften beeinflussen einander nicht immer zum Besten des Verbunds.
Was ein Werkstoffverbund bringt
Die materialtechnischen Ziele, die mit Werkstoffverbunden angepeilt werden, sind vielfältig. Unter anderem gehören dazu:
- Neue mechanische Eigenschaften, zum Beispiel von Bindemitteln (sogenannte Grundpolymere): Um die Zugfestigkeit, Bruchdehnung und Schlagzähigkeit eines Bindemittels zu verändern, gibt man verstärkende und füllende Stoffe hinzu.
- Neue Farbeigenschaften: Dank der Zugabe von Pigmenten beziehungsweise Farbgranulaten (Masterbatches) ändert man die Farbe, wobei anzumerken ist, dass die Farbstoffe oft Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften des Verbundes nehmen.
- Neues Brandverhalten: Mit zugegebenen Flammschutzmitteln wirkt man der Entzündbarkeit von Bindemitteln ebenso entgegen wie dem Weiterbrennen derselben, wenn die Brandquelle beseitigt wurde.
- Neue Stabilität: Mit Stabilisatoren und stabilisierenden Systemen erhöht man die Widerstandsfähigkeit eines Werkstoffverbunds. Dabei geht es um verschiedene Qualitäten von Stabilität, unter anderem um die Fähigkeit des Werkstoffverbunds, einer kurzfristigen temperaturinitiierten Belastung während der Verarbeitung oder Anwendung zu widerstehen. Auch wenn Verbundwerkstoffe dauerhaft der Witterung ausgesetzt sind, kann man sie vorbeugend stabilisieren.
- Neue Verarbeitungseigenschaften: Indem man sogenannte Verarbeitungshilfsstoffe zugibt, lassen sich Verbundwerkstoffe besser verarbeiten, zum Beispiel dank Entformungshilfsmitteln während eines Spritzgießprozesses.
Verbundwerkstoffe – kategorisiert nach ihren geometrischen Eigenschaften
Nach ihrer Geometrie werden Werkstoffverbunde unterschieden in:
- Teilchenverbundwerkstoffe (Partikelverbunde oder Dispersionswerkstoffe),
- kurz- und langfaserige Faserverbundwerkstoffe,
- Schichtverbundwerkstoffe (Laminate),
- Durchdringungsverbundwerkstoffe
- und Strukturverbundwerkstoffe.
Zu Teilchen- und Faserverbundwerkstoffen müsst ihr wissen, dass die namensgebenden Teilchen und Fasern in eine andere Komponente des Verbundwerkstoffes, dessen sogenannte Matrix, eingebettet werden. Im Faserverbund verlaufen die Fasern entlang einer (oder mehrerer) bestimmten beziehungsweise einer bevorzugten Richtung. Ein Faserverbund lässt sich schichtweise fertigen, was noch nicht heißen muss, dass es sich dann um einen Schichtverbund handelt: Die Bezeichnung träfe nur zu, wenn die aufeinanderfolgenden Schichten ungleicher Art wären. Gebräuchlich ist dafür dennoch die Bezeichnung Laminat. Gut zu wissen: Ein sogenannter Sandwichverbund ist ein Schichtverbund aus drei Schichten, wobei die beiden äußeren identisch sind. Im Durchdringungsverbund bilden die Komponenten für sich zusammenhängende, offenporige Materialien. Die Wiki schreibt, dass sie unter anderem aus offenporiger gesinterter Schaumkeramik gemacht werden, die man mit einem geschmolzenen zweiten Stoff tränkt.
Verbundwerkstoffe – kategorisiert nach ihrer stofflichen Beschaffenheit
Die stoffliche Vielfalt von Verbundwerkstoffen ergibt sich aus den Kombinationen der Grundstoffe. Hier geht es im Grunde um das Quartett:
- polymere (Kunststoffe),
- metallische,
- keramische
- und organische Werkstoffe.
Die Liste der daraus machbaren Verbundwerkstoffe ist recht lang, ich erspare sie uns an dieser Stelle. Wer drauf schauen möchte, klickt hier, wo ihr auch nähere Infos zu den Zusätzen, also Zuschlagstoffen wie Füll- und Verstärkungsmaterialien, findet.
Was das Vorgeschriebene gezeigt hat, ist, dass ein Verbundwerkstoff ein Ding enormer Festigkeit ist, dessen Grundstoffe so verschieden sein können, dass sie zum Recyceln nicht in einen Topf geworfen, sprich: gleichbehandelt, werden können. Und daraus ergibt sich der
Recyclingwahnsinn von Verbundwerkstoffen
Denn so sehr uns die dank des Einsatzes von Verbundwerkstoffen leichteren Bauteile vonnutzen sind, so sehr macht uns der Verbundwerkstoff an sich Probleme. Schon die bei der Herstellung der Bauteile abfallenden Materialien müssen entsorgt werden. Und haben die Bauteile einst ausgedient, steht auch für sie die Entsorgung an. Doch das, was uns schon als Normalverbraucher bei der alltäglichen Mülltrennung Schwierigkeiten macht, die Trennung verschiedener Wertstoffe, ist bei Verbundwerkstoffen nahezu unmöglich.
Wobei Recyceln in Bezug auf Verbundwerkstoffe nichts anderes heißt, als den Verbund mit hohem Reinheitsgrad aufzuschließen.
Wahnsinn!
Selbstverständlich hat die Recyclingindustrie Verfahren entwickelt, um den Verbundwerkstoffen verwertungstechnisch beizukommen. Das Verfahren der Herbold Meckesheim GmbH, Meckesheim, will ich hier beispielhaft anführen. Nach eigenen Angaben habe das Unternehmen:
„eine Technik entwickelt, die sich in drei Schritte gliedert: Eine Vorzerkleinerung, sofern es die Abmessung der anfallenden Teile erfordert, wird mithilfe von Ein- und Zwei-Wellen-Shreddern realisiert. Sie nehmen das Material in großen Portionen auf, sodass ohne Personalaufwand ganze Gitterbox- oder Containerfüllungen entleert werden können. Die Dosierung nimmt der Shredder dabei selbsttätig vor. Dann folgt eine Prallzerkleinerung, um durch Impaktwirkung die Verbundstoffe voneinander zu lösen. Dafür stehen Maschinen mit 22 bis 250 kW Antriebsleistung zur Verfügung. Die Trennung wiederum ist angepasst an die stofflichen Eigenschaften und Erfordernisse. Je nach Werkstoff folgt eine Nasstrennstufe, um die Fraktionen auf ein hohes Qualitätsniveau zu bringen. Das können kleine, kompakte Lösungen für wenige hundert Kilogramm Material pro Stunde sein, aber auch Anlagen für Durchsätze von mehreren Tonnen pro Stunde.“
Dem Kunststoff-Magazin zufolge werde das
„. . . besondere Augenmerk . . . auf die Reinheit aller anfallenden Fraktionen gelegt. Nicht nur der wertvollere Anteil des Verbunds steht im Vordergrund: Ein möglichst vollständiges Wiederverwerten ist die Maxime, denn statt teurer Deponie steckt oft auch in den minderwertigen Fraktionen ein Wertschöpfungspotenzial.“
Noch klingt das alles ziemlich glatt: Das Recycling von Verbundwerkstoffen ist demnach zwar schwierig, aber nicht unmöglich. Wo ist der Wahnsinn?
Das Recycling von Verbundwerkstoffen ist vor allem eins: energieintensiv. Die Frage ist, ob sich der Aufwand an Energie rechnet, der nötig ist, um Verbundwerkstoffe zu recyceln. Zum Gegenrechnen ist einerseits die Art und Menge der dafür verbrauchten Energie in die Waagschale zu werfen. Andererseits kommt es auf den Wert der recycelten Werkstoffe und ihrer stofflicher Wiederverwertbarkeit an.
Das klingt alles ziemlich abstrakt, daher werde ich jetzt konkret:
Ein schönes Verbundwerkstoffbeispiel ist der Getränkekarton: Die Wiki schreibt hier, dass nach Angaben des Umweltbundesamtes im Jahr 2013 von den Sammlungen des Dualen Systems Deutschland 137.300 Tonnen (t) gebrauchte Getränkekartons stofflich verwertet worden seien. Das entspreche demnach einer Quote von 77,5 Prozent. Der Großteil davon sei in den beiden folgenden deutschen Papierfabriken verwertet worden:
- Kreuzau bei Düren (Anlage der Papierfabrik Niederauer Mühle)
- und Raubling bei Rosenheim.
Bei der Wiederverwertung würden die Papieranteile (siehe Grafik unten) beziehungsweise Zellstofffasern (etwa drei Viertel) nach einem Waschprozess extrahiert. Das mit der Polyethylenschicht verbundene Aluminium (etwa ein Viertel) werde in Müllverbrennungsanlagen und Zementwerken verwendet.
Komponenten einer TBA (Tetra Brick Aseptic) Verpackung
Okay. Fast 80 Prozent Wiederverwertungsquote beim Getränkekarton, das klingt erstmal nicht so schlecht. Doch die Restverwertung in der Müllverbrennungsanlage heißt: Verfeuerung. Dabei entsteht zwar unter anderem Wärme, aber eben auch eine Menge an Schadstoffen. Müllverbrennung ist einfach keine ökologische Alternative zur Wiederverwertung wie sie eine funktionierende Kreislaufwirtschaft fordert.
Mein Fazit
Verbundstoffe bringen uns Vor- und Nachteile. Im Sinne einer rundlaufenden Kreislaufwirtschaft gilt es daher, jeden Verbund auf Alternativen hin zu checken, die einerseits ökonomisch und andererseits ökologisch machbar sind. Anstelle viel Energie in ein kompliziertes Recycling problematischer Verbunde zu stecken, sollte die doch besser in die Erfindung ökologisch wertvoller und leicht wiederverwertbarer Werkstoffe fließen, mit denen wir Problemverbundstoffe ersetzen.
Das bedeutet zu jedem Zeitpunkt ein Umschwenken und wird Schmerzen in vielen Branchen verursachen. Aber der Richtungswechsel ist unumgänglich. Je eher er realisiert wird, desto besser stehen die Chancen, mit einem grünen Auge davon zu kommen. Und das wollen wir doch alle, oder?
Übrigens kann jeder Verbraucher für sich einen ersten Schritt in die richtige Richtung gehen: Und auf Getränkekartons, um beim Beispiel zu bleiben, verzichten. Losgehen ist leichter als ihr denkt! Ich bin schon losgegangen.
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3 Kommentare
schön aufbereitete und informationsreiche Einsicht in das Thema der Verbundwerkstoffe. Dankeschön!
Wäre schön gewesen wenn der Autor die Alternative verglichen hätte.
Ein Glasflasche ist schwer und muss aufwendig gewaschen werden. Folglich fallen grosse Mengen Energie für den Rücktransport (Dieselabgase) und die Reinigung (heisses Wasser und aggressive, desinfizierende Reinigungsmittel)an.
Ein solcher Vergleich zeigt dann wieder dass die Papierverpackung das kleinere Übel darstellt!
Natürlich haben wir uns auf dem Wertstoffblog schon mit dem Thema befasst. https://wertstoffblog.de/2016/05/12/gastbeitrag-glas-aluminium-einweg-mehrweg/ Bis zu einem Transportweg von 150 km und bei 50 Mal Wiederverwendung hat die Mehrwegglasflasche durchaus ihre Berechtigung. Aber geht es bei Verpackungen wirklich immer um das kleinere Übel? Wir sehen ja wohin der Wahnsinn beim Plastikmüll geführt hat. Selbst die Industrie hat es erkannt: https://wertstoffblog.de/2018/03/20/remondis-chef-wilms-lobt-chinas-plastikmuell-politik/