Abfallzahlen: Ist Deutschland der Abfall-Europameister? – Teil 3

Im Dritten Teil der Serie zu Abfallzahlen wollen wir den Blick auf Europa werfen und prüfen, ob wir tatsächlich auch in dieser Disziplin den wenig ehrenvollen Titel Europameister im Müllerzeugen verdient haben. Dazu nehmen wir die Aussage aus einem Artikel zu dem Thema und sezieren diese:
„Die Menschen in Deutschland verursachen deutlich mehr Müll als der EU-Durchschnitt.“
Nimmt man die Datenbasis der europäischen Statistikbehörde EUROSTAT, dann stimmt diese Aussage zunächst.
Aber wie erhebt EUROSTAT Daten?
Dazu gibt es einen ausführlichen Qualitätsbericht zu den Metadaten. Unter Punkt 11 steht dort sinngemäß, dass die Qualität der Daten in der gemeinsamen Verantwortung der EU-Mitgliedstaaten und EUROSTAT liegt. Daraus kann sich jetzt jeder selbst im Kopf wertfrei eine Rangliste der EU-Mitglieder von „sehr aufwendig und gründlich“ und „eher entspannt“ bei der Datenerhebung machen. Also ob jeder berücksichtigt, dass „Silikonisierte Gegenlagen für Klebeetiketten“ natürlich nicht zu Verpackungen gehören, aber „Pflanzentöpfe, in denen die Pflanze während ihrer Lebenszeit nicht verbleibt“ selbstverständlich schon, wie es beispiels-, aber nicht überraschenderweise in Deutschland getan wird (hier, S. 37 f.).
Wie sieht es mit der Genauigkeit aus?
Methodisch lässt sich das übersetzen mit „alles kann, nichts muss“: Die EU-Staaten sind frei darin, wie sie die Daten erheben. Das können Umfragen, Daten der lokalen Körperschaften, die Abfallentsorger oder Abfallbehandlungsanlagen sein. Was auch geht: „For areas not covered by a municipal waste collection scheme the amount of waste generated is estimated.“ Also dort, wo es keine Müllabfuhr gibt, wird das Aufkommen geschätzt. Aja.
Jetzt stellen Sie sich bitte vor, ich käme zu Ihnen und bitte Sie, sowie Ihre beiden Nachbarn, zu erheben, wie viel Müll Sie erzeugen. Sie selbst machen das sehr gründlich und zählen z.B. den Topf des Basilikums zu den Verpackungen, weil Sie planen, diesen im Laufe des Jahres auszuwildern und erfassen wirklich alles. Einer ihrer Nachbarn macht das etwas anders, aber auch gründlich: Er wiegt und schätzt ein paar Mengen und zählt seinen Basilikumtopf nicht zu den Verpackungen. Schon haben sie eine Abweichung mindestens in Höhe des Basilikumtopfes. Sie schicken mir am Ende des Jahres eine Liste. 470,31 Kilogramm sind es zusammen geworden. Auch Ihr Nachbar schickt mir eine Liste und unterm Strich hat er 455 Kilogramm Müll erzeugt. Jetzt fehlt mir noch die Menge Ihres zweiten Nachbarn. Nach einigen erfolglosen Nachfragen, fahre ich zu ihm hin, um seine Menge zu erfahren. Er hat so gar keine Lust auf die Erhebung, schreit „Fümpf Kilo“ und knallt die Tür wieder zu. Jetzt habe ich drei Werte und Sie führen die unrühmliche Liste an. 310 Kilogramm wäre der Durchschnitt und Sie haben über 470 Kilogramm. Na, herzlichen Glückwunsch. Orientieren Sie sich mal an Ihrem Nachbarn, also den mit den fünf Kilogramm, der andere ist fast genauso schlimm wie Sie. All das ist zwar überzogen dargestellt, wäre theoretisch aber möglich und entspräche der Erhebungsmethode für Europas Abfallzahlen.
Weiter heißt es in dem Artikel: „617 Kilogramm Haushalts- und Verpackungsabfälle fielen 2013 pro Einwohner in der Bundesrepublik an, 136 Kilogramm mehr als im EU-Durchschnitt. Das teilte das Statistische Bundesamt auf Grundlage vorläufiger Daten der europäischen Statistikbehörde EUROSTAT mit.“
617 Kilogramm Haushaltsabfälle pro Kopf?
Nein, einfach nur nein: 617 Kilogramm Siedlungsbfälle pro Kopf fielen an, nicht Haushalts- und Verpackungsabfälle. So steht es sogar in der Pressmitteilung. Haushaltsabfälle waren es 454 Kilogramm pro Einwohner. Davon 159 Kilogramm aus der Restmülltonne. Wie wir ja inzwischen wissen, sind in Deutschland dort aber noch einige Mengen enthalten, die nichts mit uns als Privathaushalt zu tun haben – wie hausmüllähnliche Gewerbeabfälle – oder welche die stark witterungsabhängig sind, wie Garten- und Parkabfälle. Auch gibt es keine Einheitlichkeit bei der Erfassung dieser Mengen. Selbst unter den mehr als 11.000 Gemeinden in Deutschland gibt es Abweichungen bei der Zuordnung von Abfällen. Wie hoch hingegen der Unterschied absolut oder in der Erfassungsmethodik im Vergleich zu beispielsweise Rumänien ist, kann man nur vermuten. Rumänien ist ein gutes Stichwort, denn im Artikel heißt es weiter:
„Am wenigsten Abfall je Einwohner verzeichneten Rumänien mit 272 Kilogramm und Estland mit 293 Kilogramm.“
Gut. Nehmen wir mal an, die Zahlen wären tatsächlich miteinander vergleichbar und „Silikonisierte Gegenlagen für Klebeetiketten“ würden in Rumänien statistisch exakt so erfasst wie in Deutschland. In Rumänien entstehen pro Kopf also nur halb so viele Abfälle wie in Deutschland. Aber dann noch die wirtschaftlichen Unterschiede der Länder außer Acht zu lassen, ist wirklich gewagt. Deutschland erzielt über 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der EU, Rumänien etwa ein Prozent. Das BIP pro Kopf in Deutschland liegt 25 Prozent über dem EU-Durchschnitt, das von Rumänien 40 Prozent unter dem EU-Durchschnitt.
Abfallintensität hat mehr Aussagekraft
Um sichtbar zu machen, wie viele Abfälle relativ zur Wirtschaftsleistung erzeugt werden, setzt das Statistische Bundesamt die Abfallmenge in Relation zum Bruttoinlandprodukt – das ist die Abfallintensität. Hier zeigt sich, dass Deutschlands Wirtschaft zwar wächst, die Abfallmenge jedoch nicht proportional steigt. Wirtschaftsleistung und Abfallaufkommen sind entkoppelt. Und das ist gut, sehr gut sogar, denn es zeigt den Umgang mit eingesetzten Ressourcen. Nun haben wir persönlich weder auf das gesamte Abfallaufkommen noch auf das BIP einen unmittelbaren Einfluss. Um zu prüfen, wie abfallintensiv wir konsumieren, können wir unsere privaten Konsumausgaben in Relation zu den erzeugten Abfällen setzen. Dann bekommen wir einen Wert, wie viele Kilogramm Abfall pro Haushalt entstehen, wenn wir 100 € für Konsum ausgegeben.
Statistisch umfassen Konsumausgaben nahezu alles, was wir ausgeben und eben nicht sparen: Essen, Kleidung, Wohnen, Energie, Haushaltsgeräte etc. Nicht jede dieser Ausgaben erzeugt aber haushaltsnahen Abfall für unsere Statistik. Nahrungsmittel und Haushaltsgeräte zum Beispiel ja, Miete oder Finanzdienstleistungen eher nicht. Letztere Art der Ausgaben haben wir also rausgerechnet. Daraus ergibt sich dann, dass pro Haushalt in Deutschland je 100 Euro Konsum etwa 6,5 Kilogramm Abfall direkt am Haushalt anfallen. Zehn Jahre zuvor waren es noch 8,3 Kilogramm, was einem Rückgang von 22 Prozent entspricht. Spielt man die Rechnung mit dem Verpackungsaufkommen privater Endverbraucher durch, käme man auf eine Abfallintensität von etwa zwei Kilogramm Verpackungsmüll je 100 Euro Konsumausgaben je Haushalt. Und der ist in dem verfügbaren Zeitraum konstant. Die Konsumausgaben steigen, die Abfallintensität nicht.
Was bedeutet das im Vergleich zu Europa?
Die oben erwähnten Probleme mit der EU-Statistik setzen sich leider in anderen Bereichen fort: Datensätze sind nicht einheitlich oder vollständig für alle Länder und Jahre zu bekommen. Die haushaltsnahen Abfälle lassen sich auch nicht sauber abgrenzen, weswegen wir uns der verzerrenden Siedlungsabfällen bedienen müssen. Setzen wir die Siedlungsabfälle in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, sieht es finster aus für den deutschen Meistertitel: 17 Kilogramm Siedlungsabfälle fielen je 1.000 Euro BIP an. In Bulgarien sind es 66 Kilogramm, in Rumänien 31 Kilogramm und EU-weit 23 Kilogramm .
Als Kontrolle kann man die Rechnung nochmal mit den Konsumausgaben durchspielen. Hier lassen sich aufgrund der Datengüte weder die abfallrelevanten Konsumausgaben noch die haushaltsnah entstehenden Abfälle sauber abgrenzen und wir müssen die Siedlungsabfälle und alle Konsumausgaben nehmen. Weil durch Einbeziehung von Miete, Energie etc. die Konsumausgaben steigen, sinkt die Abfallintensität für Deutschland auf 3,4 Kilogramm Siedlungsabfälle und 1,1 Kilogramm Verpackungsabfälle je 100 Euro Konsumausgaben pro Haushalt. Abfallvermeidungseuropameister Rumänien kommt hingegen auf 8,2 Kilogramm Siedlungsabfälle und 1,3 Kilogramm Verpackungsabfälle.
Fazit
Daraus ließe sich der Schluss ziehen, dass sowohl in Relation zur Wirtschaftskraft als auch zu den Konsumausgaben, die Intensität der Abfallerzeugung in Deutschland vergleichsweise gering ist. Im EU-Vergleich sogar unterdurchschnittlich und im Vergleich zu Rumänien weniger als halb so hoch bei den Siedlungsabfällen und noch 15 Prozent niedriger bei den Verpackungsabfällen.
Das ändert natürlich nichts an den absoluten Mengen. Wozu also der Aufwand? Kreislaufwirtschaft bedeutet, mit den eingesetzten Ressourcen möglichst schonend umzugehen. Mit zunehmendem Wohlstand werden die Menschen mehr und anders konsumieren – in Deutschland, in Rumänien und auf der ganzen Welt. Es wird also mengenmäßig mehr Abfall entstehen, was nicht schön, aber Realität ist. Es geht also um den Umgang mit unseren Ressourcen. Angefangen beim recyclingfreundlichen Design von Produkten und Verpackungen, effizienter Abfallsammlung und hochwertigem Recycling. Und hier sind wir in Europa unterschiedlich weit. Aufgabe der Politik ist es, einheitliche Rahmenbedingungen zu schaffen und zu fördern, die Kreislaufwirtschaft auf einem hohen Niveau in allen Ländern ermöglicht.
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