Geschichte des Recyclings XIII: 1990er im vereinten Deutschland – Ära des Grünen Punkts beginnt

Gepostet von am 1. Jun 2017

Geschichte des Recyclings XIII: 1990er im vereinten Deutschland – Ära des Grünen Punkts beginnt

Nach dem zweiteiligen Ausflug in die DDR-Geschichte des Recyclings geht es jetzt chronologisch weiter. Das Recyclinggeschehen im ersten Jahrzehnt des wiedervereinten Deutschlands begann mit einem (Höhe-)PUNKT: dem Grünen Punkt und der Installation des gleichnamigen Dualen Systems als zweites Entsorgungssystem neben dem bereits bestehenden öffentlich-rechtlichen Abfallbeseitigungssystem. Lest hier, was die 1990-Jahre sonst noch so an Recyclinggeschichte hervorbrachten.

1990 – Deutschland vereint sich und versinkt in Verpackungsmüll

„Anfang der 1990er-Jahre drohte Deutschland im Müll zu versinken. Die Deponien quollen über, die Kapazitäten der Müllverbrennungsanlagen reichten nicht mehr aus. Verpackungsabfälle als größte Abfallart des Hausmülls trugen in hohem Maße zu der Entstehung des Problems bei. Der jährliche Verpackungsverbrauch belief sich zu diesem Zeitpunkt auf rund 15,3 Millionen Tonnen – davon allein etwa 13,1 Millionen Tonnen Einwegverpackungen. Es wurde immer deutlicher, dass eine bloße Beseitigung der Abfälle nicht ausreichte. Eine zusätzliche Ressourcennutzung durch die Verwertung der Abfälle wurde unabwendbar. Darüber hinaus sollte Abfallvermeidung zur obersten Priorität werden.“ Mit diesen Worten beschreiben die Dualen Systeme auf ihrer Internetseite die damalige Recyclinglage des sich wiedervereinenden Deutschlands.

28. September 1990: Geburtstag des Grünen Punkts und Start seiner Weltkarriere

Der Grüne Punkt ist das weltweit geschützte Markenzeichen für recycelbare Verpackungen und steht für die Dualität des deutschen Entsorgungssystems, das seit der Gründung des gleichnamigen Unternehmens „Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland GmbH (DSD)“ Ende September 1990, kurz vor der offiziellen Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, in Bonn und dessen Marktaktivierung als zweites Entsorgungssystem zweigleisig (also dual) fährt.

(Für Über-den-Tellerrand-Gucker habe ich hier noch ein kleines sprachtechnisches Bonbon: Das Arabische differenziert die Welt in Einzahl, in Mehrzahl und in Dual, also „Zweizahl“. Das finde ich besonders praktisch, denn so weiß man gleich, ob es sich bei einer grammatischen Konstruktion „> Einzahl“ um „= zwei“ oder „> zwei“ Dinge handelt, um die es geht. Aber das nur nebenbei!)

Zurück zum Dualen System Deutschlands: Auslöser für die Gründung war der zum damaligen Zeitpunkt bereits vorliegende Entwurf der Verpackungsverordnung (VerpackV), die im darauffolgenden Jahr als Gesetz verabschiedet wurde und deren Kernpunkt die Produktverantwortung war. Als Gründer der DSD führte ein Verbund in Deutschland tätiger Unternehmen der Lebensmittel- und Verpackungsbranche den Grünen Punkt ein, der fortan als Kennzeichnung lizenzierter Verpackungsmengen unterwegs ist – und via die Geldströme hinter den Lizensierungen das duale System, das nach Paragraf 6 Absatz 3 der Verpackungsverordnung zur Sammlung und anschließenden Verwertung von Verpackungsabfällen zugelassen war, finanziert. Bei Wikipedia steht zum Konzept des Grünen Punkts/DSD, dass der Grüne Punkt als Erkennungszeichen der bei der DSD GmbH lizenzierten Produkte diene, die dem Verwertungssystem des Unternehmens vom Verbraucher zugeführt werden könnten. Unternehmen, die ihre Produkte mit der eingetragenen Marke „Der Grüne Punkt“ kennzeichnen wollten, müssten demnach dafür Lizenzgebühren an DSD zahlen, auch wenn sie keinen Entsorgungsvertrag mit DSD abgeschlossen hätten.

Die Arbeitsweise des Dualen Systems beschreibt die Wiki so:

Verpackungsmaterialien würden nach Gebrauch rechtlich als „Abfall zur Verwertung“ qualifiziert. Die DSD finanziere sich über die Beteiligungs- und Markennutzungsentgelte, die auf Basis des Verpackungsmaterials und -gewichtes berechnet würden. Der „Abfall zur Beseitigung“ sei das, was umgangssprachlich Müll genannt werde, für den die Kommune zuständig sei und dessen Entsorgung finanziere sich über die Gebühren aus den kommunalen Abfallsatzungen.

Die DSD GmbH überlasse das operative Geschäft der Sammlung und Sortierung ihren Entsorgungspartnern, dies seien in der Regel private und kommunale Entsorgungsbetriebe. Die Entsorgungsverträge würden im Rahmen einer Ausschreibung vergeben.

Die Vermarktung der sortierten Wertstoffe erledige für DSD heute im Wesentlichen die Deutsche Gesellschaft für Kreislaufwirtschaft und Rohstoffe mbH (DKR), die in den 1990er-Jahren von DSD und der Kunststoffindustrie zur Verwertung der Kunststoffverpackungen gegründet worden und heute eine hundertprozentige Tochter der DSD sei.

Greenpeace erklärt dazu noch:

Die Verpackungshersteller bezahlen für den Grünen Punkt eine Lizenzgebühr an das Duale System Deutschland (DSD) in Köln. Die Kosten trägt letztlich der Kunde, weil der Hersteller sie auf den Preis aufschlägt. Das DSD wiederum beauftragt private Abfallunternehmen, die lizensierten Verpackungen mit dem Grünen Punkt einzusammeln, zu sortieren und zu verwerten. Dies wird aus den Lizenzeinnahmen finanziert. Das DSD selbst besitzt also keine Müllwagen oder Recyclinganlagen, sondern organisiert als Dienstleister nur das System und die Finanzierung. Jeder Grundstücksbesitzer erhält auf Wunsch kostenlos eine „Gelbe Tonne“, mancherorts auch „Gelbe Säcke“, für Verpackungen mit dem Grünen Punkt. Er spart so Geld, weil weniger Abfälle in seiner gebührenpflichtigen Restmülltonne landen.

In Sachen Recyclinggeschichte halten wir also fest: Mit dem Dualen System/Grünen Punkt begann die gesetzliche Recyclingsammlung.

Die Geschichte des Dualen Systems ist wechselhaft und bis heute mehr als spannend – und wurde von Benjamin Kloiber hier auf dem Wertstoffblog bereits ausführlich beschrieben und kritisch in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge gerückt (Stichwort: Monopolisierung). Wer dazu mehr wissen will, startet am besten mit Teil I der Geschichte.

Fürs Fortschreiben unserer Geschichte des Recyclings in den 1990ern ist von Bedeutung, dass das Duale System seitdem als nach eigenen Angaben erstes System seiner Art weltweit gebrauchte Verkaufsverpackungen recycelt und daraus Rohstoffe für den Wirtschaftskreislauf zurückgewinnt.

„Der Grüne Punkt“ zähle demnach zu den international bekanntesten Markenzeichen und werde in vielen Ländern als Finanzierungszeichen für das Verpackungsrecycling genutzt. Bei Wikipedia heißt es dazu, dass viele andere Länder dem Beispiel Deutschlands gefolgt seien, indem sie duale Systeme gründeten. 1994 sei demnach eine EU-Richtlinie mit dem Hauptziel der Vermeidung und Verringerung von Umweltauswirkungen durch Verpackungen und Verpackungsabfälle in Kraft getreten. Und: Sammelsysteme mit der Marke „Der Grüne Punkt“ gebe es inzwischen – wenn auch teils erst im Aufbau – in 26 europäischen Ländern.

Im Rückblick hatte der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) laut der „Evaluierung der Verpackungsverordnung“ (Texte 6/2011, bifa Umweltinstitut GmbH, Augsburg im Auftrag des Umweltbundesamtes, Download als PDF hier) hinsichtlich des Wirkungsgrades der Verpackungsverordnung in seinem Umweltgutachten 1998 festgestellt:

Beim System ‚Grüner Punkt‘ handelt es sich im Grunde genommen um einen abfallwirtschaftlichen Anwendungsfall des umweltpolitischen Instruments Selbstverpflichtung im Gefolge der Verpackungsverordnung.

Begründet worden sei diese Sichtweise laut den Verfassern vom bifa damit, dass die Verpackungsverordnung keine Rechtspflicht zur Errichtung eines Systems im Sinne des § 6 Abs. 3 VerpackV statuiere. Vielmehr wäre die ordnungsrechtliche Arrondierung der VerpackV für die betroffenen Wirtschaftskreise in weiten Bereichen lange Zeit auslegbar bzw. gestaltbar gewesen (Stichworte: Selbstentsorger, duale Systeme, Insellösungen beim Einwegpfand etc.). Erst in jüngerer Zeit sei nicht zuletzt aufgrund von Missbräuchen (Stichwort: Trittbrettfahrerproblematik) das Ordnungsrecht mittels diverser Novellierungen der VerpackV angepasst worden, insbesondere mit der 5. Novelle, so dass die Instrumentenkomponente „Selbstverpflichtung“ nunmehr kaum noch erkennbar erscheine.

1991 – Die Verpackungsverordnung und ihre Schlüsselrolle in der Entsorgung von Verpackungen

Die eben bereits erwähnte bifa Umweltinstitut GmbH schreibt in ihrer Wirkungsanalyse der Verpackungsverordnung:

„Die Organisation der Verpackungsentsorgung in Deutschland hat die Anfang der 1990er Jahre bestehenden Defizite in der ordnungsgemäßen und ökologisch vertretbaren Entsorgung von Verpackungsabfällen weitestgehend behoben. Unzweifelhaft kommt der Verpackungsverordnung (VerpackV) hier die Schlüsselrolle zu, unterstützt von einem steigenden Bewusstsein bei den Herstellern und Vertreibern von verpackten Produkten für die mit dem Materialeinsatz verbundenen Rohstoffkosten. Die durchschnittliche Verpackungsintensität konnte so reduziert werden und für die Verpackungsabfälle wurden seitens der Entsorgungswirtschaft ausreichend Sortier- und Verwertungskapazitäten auf hohem technischem Niveau entwickelt und flächendeckend eingeführt.“

Greenpeace schreibt: „Die Verpackungsverordnung von 1991 brachte Deutschland die Mülltrennung und deren Markenzeichen, den Grünen Punkt. Um die wachsenden Müllberge in den Griff zu bekommen, verpflichtete der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer die Hersteller, ihre Verpackungen zu recyceln und dafür die Kosten zu tragen.“

1996 – Das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG)

Im Jahr 1996 trat in Deutschland das KrW-/AbfG in Kraft. Es gilt hinsichtlich der Vermeidung, Verwertung und Abfallbehandlung als Vorreiter und ging laut Wikipedia „weit über die damals noch dürftigen Vorgaben der Europäischen Union hinaus“. Vor allem die zum ersten Mal im deutschen Abfallrecht verankerte Produzentenverantwortung (ein Vorläufer war die Verpackungsverordnung) habe demnach mit ihren Rücknahmeverpflichtungen die europäische Umweltgesetzgebung inspiriert.

Das Gesetz und seine zugehörigen Verordnungen beinhalten konkrete Vorschriften zur Vermeidung, Verwertung und Ablagerung von Abfällen. „Prinzipiell ging es nicht mehr vorrangig um Kapazitätsfragen von Deponien, sondern in erster Linie darum, Müll zu vermeiden, wenn nicht möglich, ihn zu verwerten, und erst wenn dies nicht möglich ist, ihn zu deponieren (vgl. § 4 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz)“ schreibt die Wiki weiter.

Wer mehr zum Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz lesen möchte, dem empfehle ich meine Artikelserie zum Thema hier auf dem Blog.

Was die 1990er sonst noch an Recyclinggeschichte brachten

Nicht auf den ersten Blick, wohl aber auf den zweiten ist auch die Aufnahme der Direktive des Umweltschutzes im Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland 1994 ein Stückchen Geschichte des Recyclings. Im GG heißt es in Artikel 20a seitdem:

„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die zukünftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsgemäßen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“

Fazit:

Die 1990er haben Bewegung in die deutsche und internationale Recyclinggeschichte gebracht: Das deutsche Duale System und sein Grüner Punkt als Kennzeichen für recycelbare Verpackungen machten Schule. Die deutsche Verpackungsverordnung von 1991 betonte die Produktverantwortung in Sachen Verpackungen und verankerte diese bei den Produzenten und Vertreibern verpackter Produkte. Wir Verbraucher haben seit den 1990ern den gelben Sack oder die gelbe Tonne und trennen unseren Müll.

 

Hashtags: #DSD  #DSD-Historie

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