Recycling „Made in DDR“ – Teil 2

Gepostet von am 23. Mrz 2017

Recycling „Made in DDR“ – Teil 2

Geschichte des Recyclings

Im ersten Teil zur ostdeutschen Recyclinggeschichte hier auf dem Wertstoffblog habe ich euch meine persönlichen Erfahrungen damit geschildert. Die möchte ich im zweiten Teil um die gesellschaftspolitischen Hintergründe ergänzen, so dass ihr euch ein rundes Bild von der Sekundärrohstoffsammlung und -verwertung „Made in DDR“ machen könnt.

Geplantes Recycling in der DDR aus Rohstoff und Devisenmangel

Die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) baute bewusst auf das Sammeln und Wiederverwerten von Sekundärrohstoffen, die umgangssprachlich Altstoffe genannt wurden. Dabei spielte der Volkseigene Betrieb (VEB) Sekundärrohstoffe (SERO), der schon in den 1960er-Jahren existierte, eine große Rolle. Die Wikipedia schreibt dazu:

„Die Motive … waren wirtschaftlicher Natur. Die staatliche Planwirtschaft der DDR befand sich immer in einer mehr oder weniger angespannten Rohstoffsituation und Devisenknappheit. Diesen wurde unter anderem auch durch eine weitgehende Rückgewinnung (‚Rohstofferfassung‘ – DDR-Sprachgebrauch) der eigenen Sekundärrohstoffe über die SERO-Aufkaufstellen begegnet. Der Ankauf von ‚Altstoffen‘ über das SERO-System lieferte vor allem für Privathaushalte und Kinder einen finanziellen Anreiz zum Sammeln von hauptsächlich Glas, Papier und Pappe sowie Altmetall (Schrott) und Alttextilien (Lumpen).Die Rückgewinnung von Verpackungen aus Kunststoffen (Plaste) war weniger bedeutsam, da es in der DDR zumindest bis Mitte der 1980er Jahre verhältnismäßig wenige Kunststoffverpackungen gab.“

Das Bringsystem SERO – Altstoffe sammeln in der Planwirtschaft der DDR

Die Altstoffsammlung, ein klassisches Bringsystem, das naturgemäß eine hohe Sortenreinheit garantierte, war demnach Teil der geplanten Wirtschaft der DDR: Doch was heißt hier eigentlich Planwirtschaft? Die Antwort auf diese Frage kann ich an dieser Stelle nur kurz & knapp liefern, alles andere würde den Rahmen des Blogposts sprengen:

Planwirtschaft in der DDR bedeutete, dass die Wirtschaft zentral gelenkt wurde. Der Staat setzte Wirtschaftsziele, die innerhalb geplanter Zeiträume zu erfüllen waren, zum Beispiel im Rahmen eines Fünfjahresplans. Preise wurden in der DDR staatlicherseits vorgegeben. Eine Staatliche Plankommission, die dem Ministerrat unterstand, arbeitete die Wirtschaftspläne aus. Sie fungierte zugleich als Kontrollorgan und prüfte die Einhaltung derselben. Die Betriebe bekamen eine Planauflage mit Plankennziffern und strebten nach Planerfüllung. In der DDR-Planwirtschaft gehörten die Produktionsmittel dem Staat, darunter Fabrikgebäude, Werkzeuge und Maschinen. Ein Großteil der ostdeutschen Betriebe wurde zu sogenannten Volkseigenen Betrieben (VEB) verstaatlicht. In der Landwirtschaft setzte die DDR ebenfalls auf gemeinschaftliches Eigentum und schuf die sogenannten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG).

Vom Plan und dem Mangel

Dazu müsst ihr wissen: Die Planwirtschaft der DDR verkam immer mehr zur Mangelwirtschaft. Die niedrigen Preise für Grundnahrungsmittel oder Mieten (die 3-Zimmerwohnung meiner Eltern kostete monatlich 78 Mark) zum Beispiel waren das Resultat hoher staatlicher Zuschüsse. Viele Waren gab es gar nicht zu kaufen oder nur unter dem Ladentisch: als sogenannte Bückware. Um an sie ranzukommen, brauchte man Vitamin B, also Beziehungen. Kam Bückware in den Handel, wurde das von Mund-zu-Mund propagiert. Schlange stehen gehörte zum DDR-Alltag wie Tauschhandel und Selbstversorgung aus dem Garten. Ihr glaubt gar nicht, wie oft ich als Kind in einer Schlange stand, ohne zu wissen, was es vorne an der Theke überhaupt gab. Oder man bekam im Laden eine Tüte gereicht, bezahlte sie wie die berühmte „Katze im Sack“ und packte zu Hause ein Kilo Bananen aus. Alles erlebt, alles erfahren. Ich bin mit diesem Mangel groß geworden: Ich erinnere mich noch gut an echte Nabel-Orangen („falsche“ kubanische Orangen hatten wir immer), Schokoküsse und Bananen, die unkenntlich verpackt unter dem Ladentisch verkauft wurden. Anderes, darunter auch Erdnussflips für eine Mark die Tüte (drei Tüten durfte man kaufen), gab’s nur auf Zuteilung im „Deli“, einem Delikatesswarenladen mit hochpreisigen und seltenen Waren. Eine Dose Ananas zum Beispiel kostete dort 12 Mark. Als ich vierzehn war, bekam ich sogar mal einen Tag schulfrei, weil meine Mutter mit mir in die Großstadt fahren musste, um mir eine passende Hose zu kaufen – in unserer Kleinstadt waren die damals Mangelware. Doch zurück zum Thema Recycling!

Die mit Ostberlin 15 (Verwaltungs-)Bezirke der DDR waren flächendeckend mit SERO-Annahmestellen bestückt. Betrieben wurden die Annahmestellen (man sagte tatsächlich, dass man zum SERO gehe) häufig von privaten Kleinunternehmern. „In fast jedem Dorf oder Stadtteil existierten Annahmestellen für Altstoffe. Mobile Ankaufstellen, LKW mit Anhänger, kamen auch zum Einsatz“, schreibt das Portal ddr.center. Alle liefen unter dem SERO-Logo:

Foto: Von Stefan – selbst gezeichnet, Bild-frei, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=2373062

Das Maskottchen des SERO war eine magentafarbene Elefantendame namens Emmy.

Die SERO-Annahmestellen kauften landesweit Altstoffe auf, darunter Flaschen, Gläser, Altpapier, Lumpen und Schrott. Es war in der DDR gang und gäbe, im Haushalt anfallende Altstoffe dort abzugeben, ganz gleich, wie hoch das Haushaltseinkommen war. Dass die DDR-planwirtschaftstypische Vereinheitlichung von Waren & Co. staatstragendes Konzept war, setzte einer Individualisierung klare Grenzen und war ganz sicher nicht leicht zu ertragen – doch das Recycling profitierte davon: Denn nicht nur „Sortimente und Produktionszahlen wurden zentral geplant, verwaltet, vereinheitlicht. Auch Verpackungen und Verpackungsmaterialien ähnelten sich. Der Anteil der Verpackung am Produkt war wesentlich geringer als heute und Verpackungsmaterialien glichen sich. Dieser Umstand vereinfachte natürlich enorm die Mülltrennung, die dem Bürger auch noch Geld einbrachte“, schreibt das Portal ddr.center weiter.

Die Leistung des SERO-Recyclingsystems zur Wendezeit in Zahlen und Fakten

Wer das Recycling-System der DDR verstehen will, dem empfehle ich die Lektüre dieses Spiegel-Artikels aus dem Jahr 1990, der den Titel „Ende für Emmy“ und den Untertitel „Die Recyclingwirtschaft in der DDR steht vor dem Kollaps. Mit der Wirtschaftsunion kommt die Wegwerfgesellschaft.“ trägt. Er beschreibt die Leistungen des SERO-Systems zu Wendezeiten. Ich fasse die wichtigsten Infos kurz für euch zusammen:

  • Demnach wurden 1989 „noch über eine Milliarde Gurken-, Marmeladen- und Schnapsgebinde von der DDR-Industrie neu befüllt. Doch nun lohnt sich für die Anlieferer das Sammeln nicht mehr: Die Sero-Annahmestellen zahlen statt bisher 30 nur noch 10 Pfennig pro abgegebenem Glas – der Anreiz zum Recycling ist weg.“
  • Demnach wurden 1989 „in der DDR 11.000 Tonnen Plastikabfälle für die Herstellung von Blumentöpfen und Bierkästen, 422.000 Tonnen Schrott für den Bau von Wohnungen und Traktoren oder 620.000 Tonnen Altpapier zur Produktion von Zeitungen und Wellpappe gesammelt.“
  • Mit der Wende „bestimmen Nachfrage und Angebot auch den ostdeutschen Müll-Markt. Westdeutsche Lieferungen von Glasbruch und Papier haben zu einem drastischen Preisverfall bei den heimischen Rohstoffen geführt. ‚Fast zum Nulltarif‘, weiß ein SERO-Manager, bekommen die Glas- und Papierfabriken wie im brandenburgischen Schwedt oder in Drebkau bei Cottbus Nachschub aus dem Westen. Die Abnahmeverträge mit dem SERO-Kombinat wurden kurzerhand storniert.“
  • 1989 konnten demnach „devisenträchtige Rohstoffeinkäufe im Ausland im Wert von drei Milliarden Ost-Mark eingespart werden.“
  • „Das zukünftige Konsumland DDR droht schon sieben Monate nach der Grenzöffnung zum Paradies für Einwegverpackungen zu werden. In einem Brief an den Bonner Amtskollegen Klaus Töpfer (CDU) klagte DDR-Umweltminister Steinberg über eine ‚nicht beherrschbare Müll-Lawine aus Millionen Dosen‘. Derzeit beträgt das jährliche Müll-Aufkommen pro DDR-Bürger mit 180 Kilogramm lediglich ein Drittel des Abfall-Volumens in Westdeutschland.“

Die Wiki fasst die Leistung des SERO-Recyclings so zusammen: „Im Vergleich zum Erfassungssystem für wiederverwertbare Wertstoffe in der alten Bundesrepublik erreichte das SERO-System einen wesentlich höheren Rückführungsgrad in den Wirtschaftskreislauf für diese Stoffe“

Fazit

Das SERO-System ist tot, es lebe das SERO-System? Das DDR-deutsche Recycling hatte seine guten Seiten. Wohl deshalb ist es bis heute im Gespräch, zum Beispiel bei Recycling-Experten. So stellte Eugen Noack, Stoffstrommanager der Stora Enso Sachsen GmbH, mit seinem Vortrag auf dem Fachseminar „Verwerten und Vermarkten von Altpapier“ von der Akademie Dr. Obladen GmbH in Kooperation mit dem VKU, dem Verband kommunaler Unternehmen e.V., 2013 in Berlin die Ansichten zum Altpapier-Recycling und zum kommunalen Erfassungssystem aus Sicht der industriellen Papierproduktion dar: Der Internetseite der Akademie Dr. Obladen zufolge kam der Recycling-Experte dabei auch „auf das Kreislaufwirtschaftsgesetz zu sprechen. Hiernach weiche das KrWG die fünfstufige Abfallhierarchie der EU-Richtlinie auf, bei der an erster Stelle die Vermeidung stehe. Laut Noack werde aber gerade durch die Überlassungspflichten und die kommunale Sammlung mit Hilfe der Blauen Tonne Papier zu Abfall, was der Abfallhierarchie entgegenstehe. Dies sei nur ein Grund, weshalb Noack als industrieller Papierproduzent die gewerbliche Erfassung über Papierbanken, Wertstoffhöfe und das alte SERO-System bevorzuge. Weiterhin hob Noack die Bedeutung von Annahmestellen hervor und stellte diese der kommunalen Erfassung gegenüber. Bei den Ausnahmefällen sei nicht nur die Ware sortenreiner, weil die Bürger mehr Umweltbewusstsein mitbringen würden und auch besser kontrolliert würden, sondern diese verursachten auch nicht so viel Energieaufwand wie ein kommunales Holsystem.“ Das SERO-System ist tot, es lebe das SERO-System?

 

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