Die 1980er: das Zeitalter der Mülltrennung beginnt – Geschichte des Recyclings XII

In Sachen Recycling schreiben die 1980er-Jahre die Geschichte des vorangegangen Jahrzehnts weiter. Das endete wie bereits berichtet damit, dass immer mehr deutsche Kommunen Behälter für Altglas aufstellten. Mitte der 1980er kommen auch Altpapiercontainer hinzu. Noch wird zwar viel deutscher Müll deponiert – aber: die Mülltrennung wird auf freiwilliger, privater Basis alltagstauglich gemacht. Werft mit mir einen Blick in die deutsche Recyclinggeschichte der 1980-Jahre!
Erwachsene von heute würden gerne in den 1980ern leben
In der Rückschau betrachtet, sind für deutsche Erwachsene heute die 1980er das Jahrzehnt, in dem sie am liebsten leben würden, wenn sie die die Wahl unter allen Nachkriegsjahrzehnten hätten. Das ergab eine repräsentative YouGov-Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vor gut einem Jahr, genau: kurz vor dem Jahreswechsel 2015/16. Immerhin habe fast ein Viertel der Befragten (23 Prozent) das Jahrzehnt favorisiert. Und ganz nebenbei: Die 1980er wurden von den meisten Umfrageteilnehmern (30 Prozent) auch als das Jahrzehnt mit der besten Musik auserkoren. Aber das mag dem statistisch relevanten Umstand geschuldet sein, dass man bei Musik und solchen Fragen wohl häufig das Jahrzehnt seiner „Musikbildungjahre“ (sprich: die Jugend) auswählt. Schauen wir kurz tiefer in die deutsche Gesellschaft der 1980er:
Die 1980er-Jahre in der BR Deutschland – was ging da ab?
In seinem Buch „Generation Golf“, das im Jahr 2000 ein Bestseller war, schreibt dessen Autor, Florian Illies, von den 80er-Jahren als einer „heilen Kinderwelt“. Ihm zufolge waren damals Markenklamotten wichtig und, dass man samstags im Bademantel mit Kapuze (!) „Wetten, dass . . .?“ schaute. Illies: „Niemals wieder hatte man in späteren Jahren solch ein sicheres Gefühl, zu einem bestimmten Zeitpunkt genau das Richtige zu tun.“ (Nur zur Erinnerung: 1986 gab Moderator Frank Elstner die Sendung an Thomas Gottschalk ab.)
Selbstverständlich kann ich an dieser Stelle keine lückenlose Beschreibung der deutschen Lebensumstände in den 80ern liefern – das würde den Rahmen dieses Blogposts sprengen. Daher nenne ich hier Fakten, die rückblickend aus der Fülle der Geschehnisse besonders aufleuchten.
Der Wald stirbt großflächig
Laut Wikipedia war das Waldsterben in den 1980er-Jahren „eines der bedeutendsten westdeutschen Umweltthemen“. Der Begriff Waldsterben spiegelte demnach gesellschaftlich die damals speziell in Westdeutschland verbreitete Besorgnis wider, dass der Waldbestand in Gefahr sei und die deutschen Wälder in naher Zukunft großflächig vom Absterben bedroht seien. Seit etwa Mitte der 1970er-Jahre wurde das Waldsterben offensichtlich: Die großflächig auftretenden Schädigungen des Waldes betrafen ältere Waldbestände und Einzelbäume zahlreicher Holzarten im Verbreitungsgebiet Mittel-, Nord- und Osteuropa. In der Bundesrepublik habe man 1984 gut ein Drittel des Waldes für geschädigt befunden, was alle denkbaren Waldschäden subsumierte. Die Debatte um das Waldsterben hatte der Wiki zufolge erhebliche politische, industriepolitische und gesellschaftliche Auswirkungen in der Bundesrepublik Deutschland und gelte als einer der Gründe für den Aufstieg der Partei der Grünen. In der ersten Hälfte der 1980er-Jahre habe es quer durch die Gesellschaft sowie in der gesamten Parteienlandschaft einen Konsens über die Dringlichkeit und Schwere des Themas gegeben. Als Ursache habe saurer Regen im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion gestanden. Mögliche weitere Ursachen wie falsche Bestockung oder zeitweise Trockenheit seien demzufolge lange nicht diskutiert worden. Infolge der Waldsterbendebatte seien politische Maßnahmen ergriffen worden, die eine deutliche Verringerung der Emissionen bewirkt hätten. Es lasse sich allerdings nicht sagen, wie sich der Zustand des Waldes ohne Einführung dieser Maßnahmen entwickelt hätte.
Zur vertiefenden Lektüre des komplexen Kapitels Waldsterben empfehle ich den gleichnamigen Beitrag auf Wikipedia.
Die Grünen kommen
In den 1980ern wird die deutsche Bundesrepublik bunter: Am 13. Januar 1980 gründen die Abgeordneten des 3. Kongresses der SPV Die Grünen die Bundespartei Die Grünen. Bei den Bundestagswahlen im Oktober desselben Jahres kommen sie auf 1,5 Prozent der deutschen Wählerstimmen.
Protest gegen Atomkraftwerke und Atomwaffen bringt Millionen Atomgegner auf deutsche Straßen
Die 1980er sind das Jahrzehnt des Protestes der deutschen Bevölkerung gegen die Atompolitik ihrer Regierung. Am 28. Februar 1981 findet die bis dahin größte Protestaktion der Anti-Atom-Bewegung in Brokdorf in Schleswig-Holstein statt: 100.000 Atomgegner fordern den Baustopp des Kernkraftwerks dort. Dabei werden 250 Demonstranten und Polizisten verletzt.
Atomgegner protestierten in den 1980ern nicht nur gegen die zivile Nutzung von Atomkraft. Am 22. Oktober 1983 versammelten sich in der bundesdeutschen Hauptstadt Bonn eine halbe Million Menschen, um gegen den sogenannten Nato-Doppelbeschluss zu demonstrieren. Dieser sah vor, sogenannte Pershing-II-Raketen auf deutschem Boden zu stationieren. Bundesweit nahmen gut 1,3 Millionen Menschen an der Protestbewegung teil – die am Ende nichts half: Die Mittelstreckenraketen wurden stationiert, Ende 1983 seien es laut der Wirtschaftswoche Online bereits neun Pershing II im Hunsrück gewesen, die einsatzbereit waren.
Tschernobyl bringt Atomstrahlung nach Deutschland
Am 26. April 1986 kommt es im ukrainischen Tschernobyl zu einer Kernschmelze in Block 4 des dortigen Kernkraftwerks. Die dabei in die Erdatmosphäre gelangten radioaktiven Stoffe, teilweise mit Halbwertzeiten von 30 Jahren, kontaminierten infolge radioaktiven Niederschlags hauptsächlich die Region nordöstlich von Tschernobyl sowie viele Länder in Europa, darunter auch die beiden deutschen Staaten.
Die Ära Helmut Kohls beginnt
Am 1. Oktober 1982 übernimmt Helmut Kohl das Amt des Bundeskanzlers Helmut Schmidt, der in einem konstruktiven Misstrauensvotum der Opposition gescheitert war. Kohl blieb die folgenden 16 Jahre im Amt.
AIDS verbreitet sich weltweit
1983 wird der Erreger, der sich seit 1981 ausbreitenden und bis dato unbekannten Immunschwächekrankheit Krankheit AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome) entdeckt: der HI-Virus (HIV). Noch immer infizieren sich jährlich Millionen Menschen damit, insbesondere in Afrika.
Die innerdeutsche Grenze fällt
Am 9. November 1989 fällt die innerdeutsche Grenze – sie hatte 28 Jahre Bestand. In eigener Sache: Die kommenden Teile unserer Recyclinggeschichte werde ich über das Recycling in der DDR verfassen, anschließend geht’s dann mit den „vereinten“ 1990er-Jahren weiter.
Vom Waldsterben zum Recyclingpapier
Für unsere Geschichte des Recyclings der 1980er sind hier insbesondere die Themen Waldsterben, die Grünen und Atomkraft hervorzuheben.
Das Waldsterben weckte sowohl Besorgnis als auch politisches Handeln: Themen wie Umweltverschmutzung und Ressourcenschonung gewannen an Bedeutung – die Wertschöpfungskette Holz – Papier – Altpapier – Müll zum Beispiel wurde neu aufgefädelt. Papier wurde mehr und mehr als recyclebares Gut angesehen, das als Altpapier weder im Feuer einer Müllverbrennungsanlage noch in den Tiefen einer Deponie verschwinden sollte. Das Onlineportal Umwelt und Erinnerung fasst das Ganze so zusammen: „In den ökologischen Achtzigerjahren gewann auch der Müll eine erhöhte politische Dringlichkeit.“
Das Aufkommen der Grünen Bewegung in den 1970ern und 1980ern bewirkte ein Umdenken in den deutschen Köpfen: Die bis dahin praktizierte Müllentsorgung wurde als einer der Hauptfaktoren der Umweltverschmutzung erkannt. Zugleich entstand beziehungsweise wuchs das Bewusstsein um die Begrenztheit natürlicher Ressourcen insgesamt (etwa nach der Ölpreiskrise in den 1970ern – siehe vorhergehendes Kapitel unserer Geschichte des Recyclings): Parallel dazu erreichte das Deponieren, insbesondere in urbanen Ballungsräumen (Megacities), die Grenzen seiner Machbarkeit. Die Deutschen begannen, Wertstoffe wiederzuverwerten – zunächst freiwillig, auf privater Basis. Die freiwillige Mülltrennung wurde zum Sinnbild einer ganzen Generation in der westlichen Welt. Auch wenn vor allem technologische Möglichkeiten zur Wiederwendung von Altpapier erarbeitet wurden, widmete man sich jetzt zunehmend der wirtschaftlich sinnvollen Wiederaufbereitung aller Arten von Altstoffen. Aus Abfall wurde eine wertvolles Wirtschaftsgut: ein Sekundärrohstoff.
Tschernobyl und Kohls neue alte Atompolitik
Last, but not least brachte die Katastrophe von Tschernobyl die Fratze der bis dahin vor allem als sauber und weniger als gefährlich angesehenen Atomenergie zum Vorschein. Wikipedia schreibt: „Der ohnehin schon durch die Anti-Atomkraft-Bewegung infrage gestellte Konsens über die Verwendung der Atomenergie bröckelte . . . Große Teile der Bevölkerung waren nun für einen Ausstieg aus der Atomenergie. Nach Tschernobyl fühlten sich 58 Prozent der westdeutschen Bevölkerung persönlich stark bedroht. Unter dem Eindruck des Unfalls verdoppelte sich der Anteil der vehementen Kernkraftgegner in Deutschland von 13 auf 27 Prozent.“ Und weiter heißt es dort: „Wenige Wochen nach dem Unglück wurde in der Bundesrepublik Deutschland das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gegründet. Die Gründung dieses Ministeriums war vor allem eine Reaktion auf den als unzureichend koordiniert empfundenen Umgang der Politik mit der Katastrophe von Tschernobyl und ihren Folgen. Am 11. Dezember 1986 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG), das beinhaltete, zum Schutz der Bevölkerung, die Radioaktivität in der Umwelt zu überwachen und die Strahlenexposition der Menschen und die radioaktive Kontamination der Umwelt im Falle radioaktiver Unfälle oder Zwischenfälle so gering wie möglich zu halten.“ Aber: Zu einem grundlegenden Wandel in der Atompolitik habe die Katastrophe von Tschernobyl nicht geführt, schätzt die Enzyklopädie ein. Helmut Kohl führte demnach den Ausbau der Kernenergie gegen alle Widerstände fort und ließ bis 1989 noch sechs Kernkraftwerke in Betrieb nehmen: Brokdorf, Hamm-Uentrop, Mülheim-Kärlich, Isar 2, Emsland, Neckarwestheim. Nur der Schnelle Brüter von Kalkar und die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf hätten sich demnach aufgrund massiver Proteste nicht mehr durchsetzen lassen.
Weitere Beiträge „Die Geschichte des Recycling“:
DIE 1970ER-JAHRE – GEBURTSJAHRE DER UMWELTBEWEGUNG: RECYCLINGGESCHICHTE XI
DIE 1960ER-JAHRE: DIE PLASTIKFLUT KOMMT! – RECYCLINGGESCHICHTE X
WIRTSCHAFTSWUNDER: GEBURTSJAHRE DER WEGWERFGESELLSCHAFT – DIE GESCHICHTE DES RECYCLINGS IX
DER ZWEITE WELTKRIEG – DIE GESCHICHTE DES RECYCLING VII
GESCHICHTE DES RECYCLING, TEIL V: DER ERSTE WELTKRIEG
DIE GESCHICHTE DES RECYCLING III – DIE INDUSTRIALISIERUNG
DIE GESCHICHTE DES RECYCLINGS II – DAS MITTELALTER
DIE GESCHICHTE DES RECYCLINGS I – DIE ANTIKE
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