Der Zweite Weltkrieg – Die Geschichte des Recycling VII
Die Geschichte des Recyclings ist vom ersten Kapitel an an metallene Rohstoffe gebunden, aus denen sich Waffen und Kriegsausrüstung schmieden ließen und lassen. Die Jahre des Zweiten Weltkriegs, auf die ich hier eingehe, bestätigen das: Lest selbst, was Deutschland sich einfallen ließ, um seine Kriegsmaschinerie in Gang zu bringen und zu halten!
Deutschlands Rohstoffsituation vor Kriegsausbruch
Mit dem Vertrag von Versailles, den Deutschland als Mitverschulder des Ersten Weltkriegs an dessen Ende unterzeichnete, verschärften die darin festgeschriebenen Gebietsabtretungen die Situation von Nahrungsmittel- und Rohstoffimporten. So erhöhte sich der Exportdruck, denn die Importe sollten schließlich mit Exporten finanziert werden. Mit den abgetretenen Gebieten verlor Deutschland laut Wikipedia „zum Beispiel 75 Prozent der Eisenerzerzeugung und etwa 15 Prozent seiner Nahrungsmittelversorgung“. Als die 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise, die bis Ende des Zweiten Weltkriegs anhalten sollte, den Welthandel zusammenbrechen ließ, traf das Deutschland schwer.
Autarkie als Denkansatz
Die für das Leben wichtigen Einfuhren konnte man nicht mehr mit Ausfuhren finanzieren. Genau diese Situation bildete demnach einen fruchtbaren Boden für die Idee der Autarkie als Alternative zum weltwirtschaftlichen Freihandelsprinzip. Wer mehr dazu wissen will, sollte lesen, was der Historiker Hans-Erich Volkmann dazu meint: „. . . es sei nicht zu übersehen, dass sich der Aufstieg der NSDAP parallel zum Niedergang des deutschen Wirtschaftslebens vollzog“, schreibt die Wiki. Für Volkmann hätte die Lebensraumtheorie der Nationalsozialisten demzufolge das „gedankliche Dach, unter dem die Idee der Autarkie gedeihen konnte“ geboten. Die Diskussion um die Autarkie-Idee wurde von einer Flutwelle militärischer Schriften begleitet: Die Zahl der Kriegsbücher sei Wikipedia zufolge von etwa 200 im Jahre 1926 auf etwa 300 im Jahre 1929 und mehr als 400 im Jahre 1930 gestiegen und erreichte 1935 einen Höhepunkt mit 500 Büchern.
Dazu muss man wissen, dass Deutschland 1938 nach Großbritannien an der Spitze der Wirtschaftsmächte Europas stand. Vergleicht man das durchschnittliche Volkseinkommen, lag das des Vereinigten Königreichs elf Prozent dem deutschen. Die Franzosen kamen gerade mal auf 77 und die Polen auf 48 Prozent des deutschen Volkseinkommens.
Die neue Metallspende
Am 23. Februar erging ein Dekret an die Reichsminister, das folgende Erklärung enthielt:
„Im letzten Weltkrieg ist die Erfassung von Metallgegenständen so spät eingeleitet worden, dass das Sammlungsergebnis nicht in dem erforderlichen Umfange für die Zwecke der Kriegsführung eingesetzt werden konnte. Ich ordne deshalb an, dass bereits jetzt beschleunigt alle Gegenstände aus Kupfer, Zinn, Nickel, Blei und deren Legierungen, die sich in Verwaltungs- und Unterrichtsgebäuden, Bibliotheken, staatlichen Krankenhäusern, Erholungsheimen usw. der öffentlichen Hand als deren Eigentum befinden (. . .), auszusondern und (. . .) zur unentgeltlichen Ablieferung an die vom Reichswirtschaftsminister zu benennenden Stellen bereitzuhalten sind.“
Am 27. März 1940 erließ Generalfeldmarschall Hermann Göring dann den Aufruf zur „Spende des deutschen Volkes zum Geburtstag des Führers“. Die neue Metallspende sollte, wie schon die während des Ersten Weltkriegs, kriegswichtige Rohstoffe beschaffen. Dazu richtete man im gesamten Deutschen Reich flächendeckend Sammelstellen ein. Dort sollten Metallgegenstände abgegeben werden, insbesondere aus
- Messing,
- Kupfer,
- Bronze,
- Eisen
- und Zinn.
Das gesammelte Metall wurde recycelt: Wer Metall zum Einschmelzen gespendet hatte, bekam zum Dank eine Urkunde des Führers, wie diese hier, die das LEMO, das lebendige Museum Online, zeigt. Der Aufruf richtete sich an private Haushalte ebenso wie an Kommunen, Unternehmen, Vereine und Kirchengemeinden. Vereine sollten beispielsweise ihre Pokale oder metallene Gegenstände spenden, die die Tradition des Vereins symbolisierten, beispielsweise Fahnenspitzen. Auch von zumindest älteren Blasinstrumenten sollten sich die deutschen Spielmannszüge trennen. Von vielen deutschen Friedhöfen wurden bronzene Dekorationen wie Grabengel, Kreuze und anderes entfernt.
Mit dem Fortgang des Krieges erfasste man sämtliche Metallgegenstände in der Öffentlichkeit systematisch, darunter Denkmäler, Brunnen und sogar schmiedeeiserne Zaun- und Toranlagen, Geländer von Brücken und mehr, berichtet Wikipedia weiter. Wie schon mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges ersetzte man alle Nickel- und Kupfermünzen mit Geldstücken aus minderwertigerer Legierung.
Es drohte die Todesstrafe
Die Bedeutung, die man der Metallspende zusprach, zeigt die „Verordnung zum Schutz der Metallsammlung des deutschen Volkes“, die nur zwei Tage nach Görings Aufruf zur Metallspende erlassen wurde. Darin stand unter anderem: „Wer sich an gesammeltem oder von Verfügungsberechtigten zur Sammlung bestimmtem Metall bereichert oder solches Material sonst seiner Verwendung entzieht, schädigt den großdeutschen Freiheitskampf und wird daher mit dem Tode bestraft.“
Die Reichswerke Hermann Göring AG
Mit der Kriegsvorbereitungspolitik verfolgte man das Ziel, in Sachen Rohstoffbeschaffung so weit wie möglich unabhängig von Rohstoffimporten (Benzin, Gummi, Eisen und Stahl) aus dem Ausland zu werden.
In den 1937 für Erzbergbau und Verhüttung und zum Abbau der in Deutschland lagernden, eisenarmen Erze gegründeten Reichswerken Hermann Göring, wurde das Sammelgut aus der Metallspende nahezu ausnahmslos eingeschmolzen. Man weiß heute nicht mehr, um welche Menge es sich insgesamt handelte. Bekannt ist allerdings, dass der Abbau der eigentlich unrentablen deutschen Erze als Teil der Bestrebungen um Autarkie der Rüstungsindustrie angegangen wurde. Die Reichswerke hatten sich 1944 mit ihren 260 Unternehmen und einem Nominalkapital von 2,8 Milliarden Reichsmark zum größten und kapitalstärksten Konzern des Deutschen Reiches entwickelt. Wer sich näher mit den Reichswerken beschäftigen möchte, startet die Lektür am besten hier.
Einschmelze von Zehntausenden Kirchenglocken
Und wie im Ersten Weltkrieg auch wurden im Zweiten Weltkrieg deutsche Kirchenglocken und unzählige aus den besetzten Gebieten eingeschmolzen. Auf mehreren Glockenfriedhöfen deutschlandweit sammelte man die bronzenen Glocken. Ausführlich beschreibt Wikipedia das Thema „Glockenfriedhöfe“ hier. Dort steht unter anderem, dass in das zentrale Glockenlager in Hamburg, wo etwa 70.000 der insgesamt 90.000 dorthin verfrachteten Glocken eingeschmolzen wurden, bei Kriegsende noch ca. 10.000 Glocken auf die Einschmelze warteten – leider so aufeinander gestapelt, dass viele der Glocken beschädigt waren, so dass sie bei der oft schwierigen und daher Jahre dauernden Rückführung zur Spenderkirche zersprangen.
Kriegsjahre sind Spendenjahre
Auch andere Spendenaufrufe, die man teilweise schon aus dem Ersten Weltkrieg kannte, wurden im Zweiten Weltkrieg ausgegeben. Die Wiki berichtet von einer Bücherspende für die Wehrmacht, einer Schallplattensammlung für unsere U-Boote, Altmaterialsammlungen unterschiedlichster Art, Heilkräutersammlungen, Spinnstoffsammlungen (zum Beispiel Fasernessel). Die Hitlerjugend wurde instrumentalisiert, um von Tür zu Tür zu gehen und die jeweils gewünschten Materialen und Gegenstände zu erbitten. Das erzeugte, insbesondere unter den Mietern von Mehrfamilienhäusern, sozialen Druck und führte nicht selten zu Denunziationen über vorhandene und nicht abgelieferte Dinge.
Fazit
Was wäre der Zweite Weltkrieg ohne Metallspende & Co. geworden? Ich wage keine Vermutungen. Fakt ist: Fehlende Ressourcen waren Grund dafür, dass nicht alle Teile der Wehrmacht modern ausgerüstet werden konnten. Erst während des Krieges entwickelte die deutsche Rüstungsindustrie für die Wehrmacht revolutionäre Techniken, schreibt Wikipedia hier. Dieser Link führt unter anderem zu Ausrüstungslisten, um sich ein genaues Bild davon zu machen, wofür die Metallspende recycelt wurde. Ich schaue jetzt nach vorn und freue mich auf friedlichere Kapitel der Recyclinggeschichte.
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