Die Geschichte des Recycling VI: die Zwischenkriegszeit

Gepostet von am 10. Aug 2016

Die Geschichte des Recycling VI: die Zwischenkriegszeit

Am Ende des Ersten Weltkriegs steht das Deutsche Reich als Verlierer da. Rohstoffe, Lebensmittel, Brennstoffe zum Heizen (der Winter stand bevor) waren nach dem Krieg wie währenddessen knapp. Viele Menschen hungerten nach wie während des Krieges – und vor allem Kinder, Alte und Kranke verhungerten. Es gab 1,8 Millionen Gefallene zu beklagen, vier Millionen weitere deutsche Soldaten waren verwundet. Der Alltag lastete wie in den Kriegsjahren auf den Schultern der Frauen. Deutschlands Schuldenberg war enorm hoch, zudem musste der Verlierer Reparationszahlungen leisten. Recycling blieb wie schon in den Kriegsjahren ein großes Thema.

Am 28. Juni 1919 unterzeichnete Deutschland den Vertrag von Versailles. Er hält fest, dass Deutschland und seine Verbündeten Schuld am Krieg waren (Stichwort: alleinige Schuld). Deutschland wurden hohe Wiedergutmachungszahlungen auferlegt, um für die Kriegsschäden aufzukommen. Auch eine Abrüstung wurde durchgesetzt, um Deutschland kampfunfähig zu machen. Die Kriegsmaschinerie (Waffen, Munition, Fuhrpark) musste an die Sieger Frankreich, Großbritannien, Italien und die USA ausgeliefert oder zerstört werden.

Reparationszahlungen verstärken die herrschende Rohstoffknappheit

Deutschland lag nach dem ersten Weltkrieg in Scherben. Der Krieg hatte den Aufschwung der deutschen Wirtschaft gestoppt. An einen neuerlichen Aufschwung war nicht zu denken.

„Deutschlands Industrieproduktion war 1919 auf den Stand von 1888 zurückgefallen. Erst 1927 erreichte die industrielle Produktion wieder den Umfang von 1913. Mitte der zwanziger Jahre überstieg der Außenhandel die Ein- und Ausfuhr des ehemaligen Kaiserreichs. Rohstoffe und Nahrungsmittel waren die häufigsten Importgüter, Fertigwaren und der Maschinenbau machten den Großteil des deutschen Exports aus. Trotz fortschreitender Entwicklung vom Agrar- zum Industriestaat blieb die Landwirtschaft einer der wichtigsten Wirtschaftsbereiche des Deutschen Reichs.“ So beschreibt das LEMO, das Lebendige Museum Online, die Zwischenkriegsjahre (auch Interbellum genannt).

Zwischenkriegszeit im Zeichen von Versailles

Und bezüglich der Rohstoffe heißt es dort weiter: „Erheblich dezimiert wurde die deutsche Wirtschaftskraft nach Kriegsende durch die Bestimmungen des Versailler Vertrags. 26 Prozent der Steinkohleförderung sowie 44 Prozent der Roheisen- und 38 Prozent der Stahlproduktion des Deutschen Reichs stammten aus den abzutretenden Gebieten. Allein die Abtretung Elsass-Lothringens bedeutete den Verlust von 70 Prozent der gesamten deutschen Erzförderung. Die Landwirtschaft verlor insgesamt einen Flächenanteil von 14 Prozent. Außerdem wurden der durch politische Kämpfe und Streiks ohnehin geschwächten Wirtschaft im Rahmen der Reparationen wichtige Verkehrsmittel entzogen: Neben 5.000 Lokomotiven, 150.000 Eisenbahnwaggons und 5.000 Lastkraftwagen mussten 90 Prozent der Hochsee-Handelsflotte, die 1914 die zweitgrößte der Welt gewesen war, an die Siegermächte abgeliefert werden. Der Verlust der Kolonien war ökonomisch hingegen von keiner nennenswerten Bedeutung.“

Recycling von Kriegsschrott – kontrolliert und unkontrolliert

Die Reichstreuhandgesellschaft war – unter der Aufsicht der Interalliierten Militär-Kontrollkommission (IMKK) – nach dem ersten Weltkrieg zuständig für die Munitionsdelaborierung (Entschärfen) und -vernichtung. Diese fand generell in eigens dafür eingerichteten Zerlegestellen statt, die wegen der dort vorhandenen Infrastruktur häufig in den ehemaligen Artilleriedepots, Geschossfabriken und Feuerwerkslaboratorien eingerichtet wurden. Die Delaborierung wurde von privaten Firmen durchgeführt.

Es gibt Berichte, dass angesichts der Rohstoffknappheit „nicht berechtigte Privatpersonen“ beispielsweise Kriegsschrott und -müll sammelten, um diesen „zur Wertstoffgewinnung“ zu nutzen. Das führte demnach zu einer unsystematischen „Munitionsräumung“, zu einer Verschleppung von Lagerbeständen und leider oft zu ungewollten Detonationen.

Aasverwertung bewirkt Auftrieb der Futtermittelindustrie
in den Nachkriegsjahren

Wenn es schon an Lebensmitteln für die deutsche Bevölkerung mangelte, musste das Nutzvieh erst recht darben. Futter war Mangelware. Entsprechenden Auftrieb bekamen laut diesem Bericht des Spiegels (übrigens ein Artikel, der sich eigentlich um BSE dreht) die Aasfabriken. Der Hintergrund: Man hatte im 19. Jahrhundert begonnen, Kühe zu Fleischfressern zu machen, indem man sie mit Kraftfutter aus Tierkadavern fütterte: ein bräunliches Mehl, das aus Schlachtabfällen und sonst wie anfallenden Tierkadavern, teils auch kranker Tiere, produziert wurde. Die deutschen Aasfabriken unterlagen damals strengen Auflagen, schreibt der Spiegel: „Als Mindesttemperatur beim Kadaver-Recycling schreibt das Reichstierkörperbeseitigungsgesetz eine 20minütige Erhitzung bei 130 Grad und 3 Bar Druck vor.“ Doch das nur nebenbei.

Fortführung der Rohstoff- und Altstoffsammlungen
aus den Kriegsjahren

Einige der Sammelsysteme, von denen ich euch im vorhergehenden Teil dieser Artikelreihe zur Geschichte des Recyclings ausführlich berichtet habe, wurden auch nach Kriegsende noch weitergeführt, insbesondere die Abfallverwertung. Wikipedia bilanziert die Sammeltätigkeit so: „Die Erfolge der Sammeltätigkeit waren aufs Ganze gesehen bescheiden. Eine nennenswerte Verbesserung der Ernährungslage konnte dadurch nicht erreicht werden. Häufig war der Aufwand höher als das Ergebnis. So war der Energieumsatz beim Beerensammeln häufig höher als die durch das Sammeln gewonnene Nahrungsenergie. Eine gewisse positive Bedeutung scheint die verbesserte Abfallverwertung (der Nahrungsmittel – Anmerkung der Redaktion) gehabt zu haben. Diese wurde häufig auch nach dem Krieg beibehalten, während die übrigen Sammlungen danach aufgegeben wurden.“

Müllsammlung wird flächendeckend

Wobei sich die Qualität der Müllsammlung schon deshalb verbesserte, weil sich die kommunale Müllabfuhr flächendeckend durchsetzte: „Alles landete in einer Tonne, die die Müllkutscher aus der Stadt brachten. Zunächst mit Pferdewagen, doch nach 1920 wurden zunehmend Autos eingesetzt.“ Und in Sachen Müllverwertung berichtet man hier: „Nach einer durch Ersten Weltkrieg und Inflationskrise erzwungenen Pause setzte der folgende Wirtschaftsaufschwung in den 1920er-Jahren eine zweite Welle der Errichtung von Verbrennungsanlagen in Gang. Daneben kam es auch zur Anlage von Großdeponien, wie … des Frankfurter „Monte Scherbelino“ (1929), die allerdings nach wie vor keinerlei Schutzvorkehrungen gegen die Verschmutzung von Boden, Luft und Grundwasser besaßen.“

Dazu muss man auch das wissen: „Der erste Weltkrieg brachte in Europa eine Zäsur. Die hohen Kosten und der energieärmere Abfall führten zur Stilllegung fast aller Anlagen (gemeint sind Müllverbrennungsanlagen – Anmerkung der Redaktion) und der Rückkehr zur Deponierung. Nur vereinzelt war es möglich, den Heizwertrückgang durch Zufeuerung von Kohle zu kompensieren. Die Situation änderte sich grundlegend erst in den 1950er-Jahren des letzten Jahrhunderts.“

Autor Jens Kersten schreibt in seinem Buch „Inwastement – Abfall in Umwelt und Gesellschaft“ von einer aus Not und Mangel geborenen tradierten Kultur des Recyclings, wenn er die staatliche Kontingentierung von Rohstoffen und die Nutzung von Abfall als Wertstoff beschreibt, die ihm zufolge in der zweiten Kriegshälfte zu einem Regime der Zwangsbewirtschaftung ausgebaut worden sei.

 

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