Historie VI – Duales System: Mitbewerber holen auf – Landbell erhält Zulassung

„Der erste bundesweite Konkurrent ist da.“
DSD kämpft um Monopol
Der Weg für die Mainzer Landbell AG war ein steiniger. Das im September 1995 gegründete Unternehmen schickte sich an, dem Monopolisten Duales System Deutschland (DSD) bei der Entsorgung und Verwertung von Verpackungsabfällen Konkurrenz zu machen. Der Widerstand war beträchtlich. DSD verteidigte sein Revier, mit großem Aufwand. Die Frage, ob Landbell einen Platz in der Verpackungsentsorgung erringen würde, beschäftigte Deutschland fast ein Jahrzehnt.
DSD wurde 1990 als Monopol und Kartell gegründet. Viele Hunderte Unternehmen – auch viele große – waren Anteilseigner des Unternehmens und waren dementsprechend nicht an Wettbewerb interessiert. Kleine Entsorgungs- und Recyclingunternehmen mussten starke Einbußen hinnehmen und gingen teils zugrunde. Denn es war die Politik von DSD, in vielen Regionen bloß einen einzigen Entsorger mit dem Abholen und der Verwertung der Abfälle zu beauftragen.
Nicht nur das Bundeskartellamt und die EU-Wettbewerbskommission zweifelten öffentlich an der Rechtmäßigkeit der Monopolstellung von DSD. Auch einige Landkreise übten in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre Kritik am Entsorgungssystem. Es sei zu ineffizient. Viele Verpackungen würden nicht in den gelben Tonnen, sondern in den grauen Tonnen der kommunalen Abfallwirtschaft landen und würden so nicht recycelt werden. Dadurch würde nicht nur die Umwelt belastet, sondern auch die Portemonnaies der Verbraucher, welche sowohl die Lizenzgebühren für den Grünen Punkt als auch die höheren Müllgebühren zahlen müssten.
Landbell möchte mitspielen
Im Frühjahr 1997 startete die Landbell AG den ersten Versuch, in den Entsorgungsmarkt einzudringen. Den gelben Säcken sollte durch blaue Säcke Konkurrenz gemacht werden. Die Geschäftsführung von DSD tat dies mit der Behauptung ab, die Verbraucher seien nicht an einer weiteren Mülltrennung interessiert.
Im Herbst desselben Jahres vermeldete der hessische Landkreis Lahn-Dill für seine damals 263.000 Einwohner, die Verträge mit DSD kündigen zu wollen. Überraschend kam dieser Zug nicht. Lahn-Dill stand schon im Frühjahr an vorderster Front der Kritik gegenüber dem Monopolisten. Im Oktober 1997 lag dem hessischen Umweltministerium bereits ein entsprechender Antrag zur Aufkündigung der Verträge vor. Die Idee war, papierfaserhaltige Verpackungsabfälle in blauen Säcken von landwirtschaftlichen Maschinenringen abholen zu lassen. Diese sollten – im Gegensatz zu den gelben Säcken – direkt beim Einsammeln zusammengepresst und in die Wiederverwertungsanlage gefahren werden. Kleine Kunststoffverpackungen sollten hingegen im Restmüll entsorgt werden. Dadurch würden die Kosten stark sinken. Von bis zu 50 Prozent war die Rede.
Erstmals Alternative zu DSD
Am 1. April 1998 startete der hessische Landkreis Lahn-Dill schließlich als Erster in Deutschland das Pilotprojekt für ein alternatives Müllverwertungsmodell. Knapp zwei Jahre später bekundeten bereits 26 der 29 hessischen Landkreise und kreisfreien Städte, das neue Entsorgungssystem ebenfalls übernehmen zu wollen.
Zur selben Zeit wurde auch bereits in Baden-Württemberg über eine Kooperation mit Landbell diskutiert. In einer Stellungnahme hatte sich das Ministerium für Umwelt und Verkehr zwar positiv zum Entsorgungs- und Recyclingkonzept von Landbell geäußert, aber auch Zweifel bekundet, da man vermutete, dass die Entsorgung von kleinen Kunststoffverpackungen im Restmüll nicht mit der Verpackungsverordnung vereinbar sei.
Kurze Zeit später rückte die Landbell AG von sich aus von ihren Plänen ab, eigene Sammelbehälter zu platzieren und den Verpackungsmüll nach eigenen Kriterien einzusammeln. Sie wollten stattdessen die Sammelbehälter der DSD benutzen dürfen.
Landbell war erst der Anfang – Konkurrenz keimt auf
Im Sommer 2003 war es schließlich soweit. Nachdem alle 29 Landkreise und kreisfreien Städte in Hessen zustimmten, konnte Landbell als erstes Unternehmen flächendeckend in einem Bundesland mit der DSD konkurrieren. Ein zweites duales System war zugelassen. DSD war nun kein Monopol mehr. Der damalige Landbell-Geschäftsführer Wolfgang Schertz war der Überzeugung, rasch Marktanteile gewinnen zu können, und verlautbarte: „Wir sind billiger als DSD.“
Im Juni 2006 war dann auch in Baden-Württemberg die Zeit gekommen. Landbell bekam die Zulassung für das Bundesland. In der Zwischenzeit hatte sich viel verändert. Der einstige Monopolist DSD büßte binnen weniger Jahre stark an Marktanteilen ein und lag bei rund 70 Prozent. Eko-Punkt kündigte an, ebenfalls in mehreren Bundesländern aktiv werden zu wollen. Und auch Duales System Interseroh war bis auf drei Bundesländer bereits in ganz Deutschland zugelassen. Die Konkurrenz hatte sich etabliert.
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Duales System, Grüner Punkt … watt is dat denn für ‘ne Wirtschaft hier?
Kommentar: Duales System Deutschland – Und ewig grüßt das Murmeltier
Duales System Deutschland: Clearingverträge – Die Krise 2014
Quellen:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8671733.html
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8742735.html
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8790407.html
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-17068782.html
http://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP12/Drucksachen/5000/12_5501_D.pdf
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