Historie I: Duales System Deutschland – Die Neunziger-Jahre im Monopol
„Die ersten Jahre vom Non-Profit-Unternehmen zum geretteten Non-Profit-Kandidaten.“
Das Duale System ist 25 Jahre alt
Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland (DSD), Gesellschaft für Abfallvermeidung und Sekundärrohstoffgewinnung mbH. Unter diesem ewig langen Namen wurde vor 25 Jahren jene Organisation gegründet, die das Entsorgungssystem, wie wir es heute kennen, beherrscht. Sie wurde am 28. September 1990 mit 95 Unternehmen aus Industrie und Gewerbe in Bonn gegründet. Grund dafür war der vorliegende Entwurf der ein Jahr später beschlossenen Verpackungsverordnung (VerpackV).
Der Kernpunkt war die Produktverantwortung. Das heißt, die Hersteller von Produkten und deren Verpackungen, sind seither auch für eine umweltschonende Entsorgung dieser verantwortlich. Ziel war eine Abkehr von der Wegwerfgesellschaft. Das Abfallaufkommen war in den Jahren davor stark gestiegen.
Das ursprüngliche Ziel
Das DSD wurde als privatwirtschaftliches Rücknahmesystem abseits der öffentlichen Abfallentsorgung gegründet. Sinn und Zweck war das Umsetzen der Verpackungsverordnung zum Vermeiden und Vermindern von Abfällen, insbesondere Verpackungsabfällen. Bereits Ende 1991 beteiligten sich 400 Unternehmen an der DSD GmbH. Finanziert hat sich DSD durch Lizenzgebühren, die Unternehmen bezahlt haben, um den Grünen Punkt auf ihren Verpackungen abbilden zu dürfen. Diese Lizenzgebühren wurden wiederum vom Verbraucher finanziert – durch höhere Preise der Produkte.
Dennoch stand nicht die Gewinnmaximierung im Vordergrund, sondern das Organisieren der Abfallverwertung und -entsorgung. Das System sollte an der Erfüllung der Quoten der VerpackV gemessen werden. Die DSD GmbH war zuständig für die Erfassung, den Transport, die Sortierung und die Verwertung des Verpackungsabfalls – während die Entsorgungs- und Verwertungsunternehmen für das praktische Umsetzen verantwortlich waren, und die Kommunen Container und Stellplätze zur Verfügung stellen mussten.
Kritik an ökologischer Wirksamkeit und Betrugsvorwürfe
Bereits kurz nach Einführung des Systems meldeten sich die deutsche Wettbewerbsbehörde und Brüssel zu Wort. Während Erstere befürchtete, Firmen mit eigenen Entsorgungskonzepten würden ausgeschlossen und der Wettbewerb um neue Entsorgungstechniken würde behindert, wendete Letztere ein, ausländische Hersteller ohne Grünen Punkt würden diskriminiert.
Schon 1992 war die Rede davon, die Vorgaben zur Wiederverwertung von Plastik könnten nicht erfüllt werden. Ein Jahr später wurde bekannt, dass Karton- und Kunststoffverwertern rund eine halbe Milliarde Mark fehlten. Als Grund wurde genannt, dass Experten der DSD sich beim erwarteten Abfallaufkommen verrechnet hätten. Vielerorts fiel doppelt soviel Abfall an, wie erwartet. Der Plastikmüll staute sich in den Zwischenlagern – die DSD wurde nicht damit fertig. Einzelne Bundesländer kündigten an, der DSD die Verantwortung der Plastikverwertung und -entsorgung zu entziehen.
„Doch Müllvermeidung wird in Zukunft noch kleiner geschrieben, die Ausbeutung der Verbraucher dafür noch größer.“
„Die Rettung des Dualen Systems hat demnach einen hohen Preis: Fortan sind die Verbraucher dem Treiben der Bonner Müllfirma noch schutzloser ausgeliefert.“
Die Zeit – 10. September 1993
Außerdem wurde schon damals kritisiert, dass lediglich ein Bruchteil des tatsächlichen Verpackungsabfalls per gelbem Sack gesammelt wurde, da für Verbundverpackungen andere Regeln galten. Und selbst wenn diese der Wiederverwertung zugeführt wurden, war aufgrund ihrer Herstellung aus verschiedenartigen Materialien bloß ein Downcycling möglich.
Öko-Experten kritisierten, dass der Grüne Punkt zwar mit Umweltfreundlichkeit assoziiert wird, aber vor allem auf umweltfeindlichen Einwegflaschen abgebildet war. Dasselbe galt für Verbundbehälter.
Die Rettung des Dualen Systems
Trotz aller ökologischer Kritik am Dualen System und den aufkommenden Betrugs- und Korruptionsvorwürfen, entschlossen sich 1993 die teilhabenden Unternehmer der DSD zu Finanzspritzen. Die Alternative schien den Firmen schlimmer als weitere Investitionen. Und zwar befürchteten sie, dass im Falle eines Scheiterns der DSD, sie gezwungen wären, ihre hergestellten Becher, Tüten, Dosen und sonstige Verpackungen zurückzunehmen, was einen großen organisatorischen Aufwand bedeutet hätte. Weiters stimmten die Entsorgungsunternehmen zu, ihre Forderungen an DSD in Darlehen umzuwandeln.
Damit waren die DSD GmbH sowie ihr Grüner Punkt gerettet. Ein System, das von Öko-Experten kritisiert wurde, da die Wirksamkeit bescheiden wäre und den Konsumenten vorgaukeln würde, ihre gekauften Produkte hätten etwas Umweltfreundliches an sich, wurde bereits kurz nach seiner Geburt von Großunternehmen gerettet, die im Dualen System das geringere Übel sahen – und von Entsorgungsunternehmen, die sich dadurch den Markt für viele Jahre zu sichern versprachen.
„Müllstau, Genehmigungsentzug, Finanzprobleme – als sei das alles noch nicht genug, interessieren sich jetzt auch die Ermittlungsbehörden für das vor kurzem noch so hoch gepriesene Entsorgungssystem. Fahnder im Wiesbadener Bundeskriminalamt hegen den Verdacht, daß DSD-Partnerfirmen, die viel Geld für eine angeblich umweltgerechte Verwertung von Verpackungen kassieren, die Sekundärrohstoffe in Wahrheit einfach irgendwo im Ausland abkippen.“
Der Spiegel – 21. Juni 1993
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Duales System, Grüner Punkt … watt is dat denn für ‘ne Wirtschaft hier?
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Quellen:
Tina Emslander: Das duale Entsorgungssystem für Verpackungsabfall – ein effizientes Regulierungsinstrument? (1995) Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH. Link: https://books.google.de/books?id=l57vBgAAQBAJ&pg=PA66&lpg=PA66&dq=duales+system+deutschland+1991&source=bl&ots=SjSmezlX2k&sig=o0Sc0jGEfLoVNKASQSWrndIjbS0&hl=de&sa=X&ved=0CFQQ6AEwCWoVChMI0di2m6i9yAIVw3EUCh1bmQVm#v=onepage&q=duales%20system%20deutschland%201991&f=false
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13489689.html
1 Kommentar
Das ist eine wirklich tolle Zusammenfassung. Unglaublich, dass das schon so lange her ist mit der Einführung des gelben Sacks 😮