Ist Cradle-to-Cradle (C2C) eine gangbare Alternative?

Ein Kommentar von Doreen Brumme
Man sagt, dass am Weg „von der Wiege zur Bahre“ kein Weg dran vorbei führte. Stimmt ja auch irgendwie. Zumindest, was den Tod betrifft. Doch auch wenn die Endstation oder besser der Endzustand für uns alle dieselbe beziehungsweise derselbe ist, geht es mir hier um den Weg dahin. Denn – ohne jetzt allzu philosophisch werden zu wollen – für mich ist der Weg das Ziel. Zumal ich ja nicht weiß, wann mich der Tod ereilt und ich daher jeden Schritt gehen möchte, als wäre es der letzte. Dabei will ich wohl Spuren hinterlassen, allerdings keine CO2-Fußabdrücke. Und deshalb wähle ich für mich einen anderen Weg: Den Weg „von der Wiege zur Wiege“, auch „Craddle-to-Craddle“ oder kurz: „C2C“ genannt.
Der Abfall
Jeder von uns hat jederzeit die Wahl und kann den Weg wählen, den er durchs Leben gehen will. Die meisten sind der Wiege entstiegen und folgen dem Weg zur Bahre. Sie laufen zuerst ihren Eltern und Geschwistern nach, dann Freunden, Lehrern, Idolen und sonst welchen inspirierenden Geistern und ihnen entspringenden Ideen. Nichts dagegen einzuwenden. Ging mir genauso. Oder besser: Ich lief genauso hinterher. Doch mit jedem Schritt wachsen die Abfallberge rechts und links des Weges zur Bahre, teilweise trage ich zu ihrem Wachsen bei. Der Abfall verschmutzt die Umwelt und wird langsam aber sicher zum größten der Probleme, die unsere Existenz bedrohen. Er begründet Materialschlachten, die man auch Kriege nennt. Um trinkbares Wasser wird es vielleicht schon bald Mord und Totschlag geben. Ein Szenario, das ich mir für mich oder meine vier Kinder nicht wünsche. Da wir jedoch mit unserem bisherigen Verhalten alle am Drehbuch unseres Lebens mitschreiben, lege ich an dieser Stelle meinen Stift nieder. Ich will weder Mitläufer noch Mittäter sein. Und runter vom Weg „von der Wiege zur Bahre“.
Die Alternative – Cradle to Cradle
Cradle to Cradle ist eine Alternative dazu. Es geht dabei nicht nur um einen „weniger schädlichen“ Weg, sondern einen, auf dem „jedes Handeln des Menschen etwas Positives bewirkt“. Ich sehe deshalb den hier mit den Worten des C2C e.V. beschriebenen Weg von der Wiege zur Wiege nicht nur als Weg, sondern auch als Gangart an. Eine Gangart nach dem Vorbild der Natur: Die drei C2C-Prinzipien machen das deutlich.
- Abfall ist Nahrung oder Nahrung ist Nahrung. Alles wird zu Nahrung oder Nährstoffen für etwas anderes.
- Nutzung erneuerbarer Energien. Die Energie entspringt Sonne, Wind, Wasser und Erde.
- Unterstützung von Diversität. Es gibt eine schier unendliche Vielfalt.
Wird nun die eingangs zitierte Frage gestellt, dann muss man lediglich nach Möglichkeiten suchen, diese Prinzipien in gangbare Wege umzusetzen. Das haben vor mir schon klügere Leute getan. Ihre Antworten in aller Kürze:
- Orientiert am Vorbild der Natur lasse sich der Ansatz von Nährstoffkreisläufen in Form von biologischen und technischen Rohstoffkreisläufen demnach auf die industrielle Güterproduktion übertragen. Menschliche Pläne, die diesen Nährstoffzyklen nachgebildet sind – Zyklen, in denen Müll im eigentlichen Wortsinn nicht mehr vorkomme –, seien die Grundlage der Materialflusssysteme, die ein integraler Bestandteil des Cradle-to-Cradle-Konzepts sind.
- Das 2. Prinzip, die Nutzung erneuerbarer Energien, beziehe sich demnach auf die vorherrschende Energieerzeugung und fordere eine grundlegende Umstrukturierung der heutigen Energiegewinnung. Wegen des 1. Prinzips, „Abfall ist Nahrung“, verblieben wertvolle endliche Materialien, wie Kunststoffe auf fossiler Basis, in kontinuierlichen Kreisläufen. Die Vordenker weisen in diesem Zusammenhang darauf hin – und als Energie-Blogger bin ich damit mehr als einverstanden –, dass es jedoch ebenso wichtig sei, die zur Fertigung benötigte Energie aus erneuerbaren Quellen zu schöpfen, anstatt durch die Verbrennung fossiler Energieträger (Öl, Gas, Kohle) die Verknappung kohlenstoffreicher Ressourcen weiter voranzutreiben. Erneuerbare Energien seien demnach Grundvoraussetzung für einen holistischen und effektiven Kreislaufansatz.
- Das dritte Prinzip der Unterstützung von Diversität stelle sich gegen das identifizierbare Phänomen der De-Evolution – der Vereinfachung und Zerstörung von Vielfalt im großen Stil. Gemeint sei damit die menschliche Gestaltung der Umwelt durch Einheitsgrößen und die Simplifizierungen komplexer Zusammenhänge. Eine Vielfalt der Orte und Kulturen, der Wünsche und Bedürfnisse, der einzigartigen menschlichen Gestaltungsfähigkeit könne durch eine industrielle Re-Evolution, im Sinne von Cradle to Cradle, in der Wirtschaft etabliert werden. Dies solle der Welle der Eintönigkeit von der Wiege zur Bahre entgegenwirken, die eben jenes öko-effektive Produktdesign (noch) verhindere.
Mit C2C haben wir
- ein Ziel,
- einen Weg
- und eine Gangart.
Also alles, was man braucht, um loszugehen.
Der Weg ist gangbar
Dass der Weg C2C gangbar ist, zeigen unzählige Beispiele (einige haben wir hier auf dem Blog sogar schon vorgestellt) rund um den Erdball. Sie werden bislang vielleicht nicht immer als C2C wahrgenommen – kein Wunder, denn Diversität ist ein C2C-Grundprinzip (siehe oben): Das heißt, es gibt nicht nur eine C2C-Gangart, sondern viele verschiedene. Aber: Nur ein einziges funktionierendes Beispiel für C2C würde ja dessen Gangbarkeit schon belegen, oder?
Ich frage, wie viele Voran-Geher braucht der Mensch, um einen neuen Weg einzuschlagen? Mir reicht einer. Allerdings braucht es Mut, dem Einen zu folgen – und nicht der Masse. Noch mehr Mut ist nötig, nicht einfach hinter der Masse zurückzubleiben, sondern ihr den Rücken zuzukehren. Und loszugehen. Schon klar. Selbst erlebt. Tut weh.
Also seien wir alle mutig. Wählen wir einen Weg, der gangbar ist – und verlassen damit einen, der – und das steht für mich außer Frage – nicht gangbar ist. Und, das habe ich inzwischen gelernt, es nie war. Denn schließlich könnte dieser Artikel auch heißen: Ist „von der Wiege zur Bahre“ wirklich ein gangbarer Weg? Nur, um mal einen Denkanstoß zu liefern: Wer am Ende auf der Bahre liegt, muss getragen werden. Von wem, frage ich, wenn die Welt in Müll versinkt. Und wohin mit dem seelenlosen Körper, der Bahre und wohin überhaupt?
Ich würde bei all der bitteren Wahrheit und den schmutzig-düsteren Aussichten gerne mit einem sauberen Bild aus diesem Artikel steigen: Ich bin auf dem Weg. Mit mir die meinen. Statt Müll säumen Bäume den Wegesrand. Die Luft ist rein, das Ziel paradiesisch. Egal, wann mich der Tod ereilt, ich zerfalle zu Nahrung für andere. Und meine Lieben gehen unbeirrt weiter ihres Wegs. Denn sie sind auf einem gangbaren Weg. Dem einzigen. C2C. Und das Beste: Sie sind nicht allein!
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1 Kommentar
C2C ist schon ein gutes Konzept. In der Praxis führen jedoch die geschützen Recycling-Prozesse dazu, dass nicht am Verbrauchsort, sondern am Produktionsort das Produkt wiederhergestellt wird und so unnötig Transportemissionen entstehen.