Mehr als die Geschichte des Mülleimers

Er ist die erste Adresse im Haus für alles, was wir wegschmeißen. Wie es kam, dass wir uns einen Mülleimer ins Haus holten und ihm heute sogar Kollegen an die Seite stellen, die wir mit Papier, Plastik und Bio-Resten füllen, das will ich hier ergründen. Außerdem widme ich mich dem Littering und Lösungsansätzen rund um den Mülleimer im öffentlichen Raum, um mit dem Vermüllen der Welt fertigzuwerden.
Im Beitrag „Die Geschichte der Mülltonne“ hier auf dem Wertstoffblog habe ich beschrieben, wie sich unsere Wegwerfkultur und mit ihr ihre Behälter entwickelten. Kurz zusammengefasst könnte man den Weg des Hausmülls der städtischen Bürger so beschreiben: Im Mittelalter landeten häuslicher Unrat und Abwässer im hohen Bogen durchs Fenster oder die Haustür geworfen und geschüttet auf der Straße, wo sich das stinkende Zeug Schicht für Schicht sammelte. Später warfen die Bewohner jedes Hauses ihren Müll in eine Grube dahinter. Zu dieser Zeit begannen die Städte mit der organisierten Müllentsorgung, zunächst per Pferdefuhrwerk, später dann motorisiert. In der Sammelphase zwischen den regelmäßigen Abholterminen warfen die Hausbewohner ihren Müll bereits in Mülltonnen.
In dieser Zeit kam der Begriff Abfalleimer beziehungsweise Mülleimer auf. In Paris nannte man ihn poubelle, nach dem amtierenden Präfekten Eugéne Poubelle, der es sich – gegen einigen Widerstand der Pariser Bürger – zur Aufgabe machte, die Pariser Straßen endlich von stinkendem Unrat zu befreien: Am 7. März 1884 erließ Poubelle ein entsprechendes Dekret, nach dem von diesem Tag an Hauseigentümer dazu verpflichtet waren, drei Mülltonnen vor ihrem Haus aufzustellen: In der ersten sollten Lumpen und Papier, in der zweiten kompostierbare Abfälle und in der dritten Glas, Porzellan und Austernschalen landen. Diese vorgeschriebene Mülltrennung war revolutionär! 1890 nahm man die Bezeichnung poubelle in das französische enzyklopädische Wörterbuch für Abfalleimer/Mülleimer auf.
In der Schweiz setzte sich der Ochsnereimer oder Ochsnerkübel durch, seine spannende Geschichte könnt ihr in der deutschsprachigen Wikipedia nachlesen.
Und Londons frühe Entwicklungen zur Müllentsorgung zeigt der Artikel der englischsprachigen Wiki.
In Wien nannte man einen speziellen Raum im Hauseingangsbereich Coloniaraum (auch mit K geschrieben), darin stand der blecherne Coloniakübel, ein 90 Liter fassender Kübel mit Kippdeckel, der vom Coloniawagen – so hieß das Entsorgungsfahrzeug – entleert wurde.
So mancher städtische Haushalt sparte sich mittlerweile den lästigen Gang zur Mülltonne im Hof oder in der Einfahrt und sammelte seinen Müll in der Wohnung. Damit begann die Karriere des Mülleimers, wie wir ihn heute kennen. Anfangs war der Mülleimer nichts anderes als ein herkömmlicher Eimer, in den der Müll geworfen wurde.
Indoor: Moderne Mülleimertypen für Küche, Bad & Co.
Mit der Zeit nahmen sich Designer des Mülleimers an und entwickelten die unterschiedlichsten Mülleimertypen. Gängig sind heute:
- Treteimer
Ein Treteimer ist ein Mülleimer, dessen oben aufliegender Klappdeckel über einen einfachen Hebelmechanismus per Fußtritt auf ein Pedal geöffnet wird. Diese Funktionsweise ist praktisch, denn damit bleiben die Hände frei und wir können die Abfälle ungestört direkt in die Öffnung des Mülleimers werfen. Es gibt einfache Treteimer und solche, die zur Vorab-Mülltrennung bereits in zwei oder drei Kammern unterteilt sind. Man unterscheidet dann in Modelle mit einem Deckel über alle drei Kammern oder Modelle, die für jede Kammer einen separaten Deckel haben.
- Mülleimer mit Clipverschluss
Der Mülleimer mit Clipverschluss besitzt einen Druckknopf mit Federelement, der mit einem Fingerdruck bedient wird, so dass der Deckel aufspringt.
- Mülleimer mit Schiebedeckel
Schiebedeckelmülleimer sorgen mit ihrem Schiebemechanismus für geruchsfreies Verschließen. Allerdings brauchen sie vergleichsweise viel Platz.
- Mülleimer mit Schwingdeckel
Mülleimer mit Schwingdeckel haben einen vor und zurück schwingenden Deckel in einer Halterung, den man mit dem Müll in der Hand bei Seite schiebt, um den Müll dann in den Mülleimer fallen zu lassen.
- Mülleimer mit Schwenkklappen
Mülleimer mit Schwenkklappen bedient man ähnlich wie ein Schuhregal, dessen Schwenkklappen nach vorne aufgeklappt werden. Auch Schwenkklappen-Mülleimer haben oft mehrere Klappen, um den Müll vorab schon zu trennen.
- Sensorgesteuerte Mülleimer
Bei einem Mülleimer mit integriertem Bewegungssensor öffnet sich der Deckel, sobald wir uns dem Mülleimer nähern. Er bleibt dann für eine gewisse Zeit offen.
- Sondermodelle: Tischmülleimer
Ein Mini-Modell des Mülleimers steht sogar auf dem einen oder anderen Tisch, um darin den bei Tisch anfallenden Müll sofort zu entsorgen.
Outdoor: Mülleimer als Stadtmöbel
Da wir Menschen auch unterwegs Müll entsorgen, gibt es allerorts öffentliche Mülleimer, die auch Papierkörbe und Abfalleimer genannt werden. So sind in Berlin 21.500 Mülleimer angebracht, in Hamburg etwa 9.000 Mülleimer aufgestellt oder aufgehängt, darunter 160 Hightech-Modelle, die Flaschensammlern das Leben schwer machten, und in München 7.000. Mülleimer zählen wie Parkbänke & Co. als sogenannte Stadtmöbel beziehungsweise Straßenmöbel.
Wer mehr zum Mülleimerschlüssel pro Stadt/Stadtbürger wissen will, liest diesen Artikel in der taz. Und wer sich typische öffentliche Mülleimer aus der ganzen Welt ansehen möchte, der schaut sich die kleine Galerie an, die die Wikipedia zeigt.
Die flächendeckende Ausstattung zumindest der Industrienationen mit öffentlichen Mülleimern hat eine Ausnahme: In Japan sind im Rahmen einer Sicherheitsmaßnahme nach dem Saringas-Anschlag in der Tokioter Metro 1995 die meisten Abfalleimer rückgebaut und nicht wieder installiert worden: „Das hat für die Stadt den Nebeneffekt, dass sie sich viel Kosten spart. Dreckiger ist es auf den Straßen deswegen nicht geworden. Denn seither entsorgen die Passanten ihren Abfall beim nächsten Minimarkt, in den Bahnhöfen oder ganz einfach zu Hause.“
Flower-Power, Littering und Mülleimer
Viele Zeitgenossen tragen tagtäglich dazu bei, den öffentliche Raum zuzumüllen. Das wird zunehmend zu einem globalen Problem, auf das ich hier trotz seiner Bedeutung nicht allzu tief eingehen kann, ohne den Rahmen des Beitrags zu sprengen.
Ich greife mir deshalb nur den Aspekt heraus, wie strategisch designte und platzierte Mülleimer in der Öffentlichkeit dafür sorgen, dass wir unseren Müll auch unterwegs in die dafür vorgesehenen Mülleimer werfen und nicht einfach irgendwohin (zwischen zwei in Sichtweite hängenden Mülleimern). Dazu müsst ihr wissen, dass man beim achtlosen Wegwerfen oder Liegenlassen von Abfall im öffentlichen Raum vonLittering (englisch für „Vermüllung“) spricht.
Als Littering auf den bunten Festivals der Flower-Power-Zeit in großem Umfang beobachtet wurde, hat man Experimente und Studien gemacht, die Zusammenhänge zwischen Littering und der Art und Anzahl von Abfallbehältern verdeutlichten. Ein Ergebnis dessen: Je mehr Mülleimer zur Verfügung stünden und je auffälliger und ästhetischer sie gestaltet seien, desto mehr trügen sie zur Reduzierung von Littering bei.
Belege dafür kommen hier: Im US-amerikanischen Richmond habe das Aufstellen von großen, gut-designten und deutlich sichtbaren Abfallbehältern entlang des Highway zur einer Reduzierung des Littering um 28,6 Prozent geführt. In der Vorstadt sei das Aufkommen um 6,8 Prozent gesunken, wenn in jedem vierten Block Mülleimer installiert würden und um 16,7 Prozent, wenn dies in jedem einzelnen Block geschah. Aus St. Louis lägen ähnliche Ergebnisse vor, heißt es auf dem Portal littering.de. In Pennsylvania hätte sich das Litter-Aufkommen demnach in sauberen Umgebungen stärker als in bereits verdreckten reduziert. Litter verursache Litter, sei ein Ergebnis der Untersuchung gewesen. Saubere Straßen und Bürgersteige würden Littering signifikant verringern – ein weiteres.
Gerade bei Großveranstaltungen trete Littering demzufolge in großem Umfang auf. Littering erscheine vielen Besuchern derselben dort Norm zu sein und verursache keine oder nur eine sehr geringe soziale Verurteilung der Mitbürger. In einem Experiment in einem College-Fußballstadion habe man den Nutzen auffällig gestalteter Abfallbehälter für die Reduzierung von Littering in einem anonymen Umfeld getestet. Das Ergebnis: Die auffällig gestalteten Abfallbehälter enthielten mehr als doppelt so viel Abfälle wie die unauffälligen, die sonst benutzt worden seien. Die Wissenschaftler hinter dem Experiment erklären das Ergebnis so: Zum einen wären die aufwendig gestalteten Abfallbehälter eher aufgefallen und offerierten so mehr Möglichkeiten zur Abfallentsorgung. Zum anderen hätten die auffälligen Behälter wohl daran erinnert, dass Littering ein sozial unerwünschtes Verhalten sei und auch in einem anonymen Umfeld unterbleiben sollte.
Wer sich eingehender mit der Wahrnehmung privater und öffentlicher Mülleimer auseinandersetzen möchte, startet mit diesem Text, der im Rahmen des Seminars „Materialität & Dinge, Wahrnehmung & Handeln“ an der FU Berlin entstand: Demnach sei der Mülleimer ein gutes Beispiel dafür, dass sich die Bedeutung eines Gegenstandes durch seine Verortung verändere. Je nachdem, wo er aufgestellt sei, ob im öffentlichen oder privaten Raum, interagierten die Menschen anders mit ihm. Zum einen in Bezug auf die Benutzung und zum anderen in Bezug auf die Bedeutung, die ihm beigemessen werde. Eine Trennung von Materialität und Bedeutung sei bei einem Abfalleimer nur möglich, wenn man ihn im anderen örtlichen Kontext betrachte.
Anzumerken bleibt an dieser Stelle, dass das Thema Mülltrennung mittlerweile auch längst den öffentlichen Raum, sprich: Mülleimer, erreicht hat: Auf Bahnhöfen, Flughäfen und anderen Massentreffpunkten von müllerzeugenden Menschen stehen seit Langem Mülleimer mit mehreren Kammern zur Mülltrennung.
Zu guter Letzt das Neuste vom Neusten in Sachen smarte Mülleimer
Der neuste Trend im „Internet der Dinge“ sind sogenannte intelligente Mülleimer: Vodafone erprobe laut Aussage der Deutschen Bahn (DB) derzeit gemeinsam mit DB Systel eine smarte Lösung für das Abfallmanagement in Bahnhöfen. DB Services und DB Station&Service seien demnach ebenfalls mit von der Partie. Dabei würden mit sogenannten Narrowband-IoT-Sensoren ausgestattete Mülleimer getestet, die ihren Füllstand selbstständig erkennen und diese Information auch selbstständig weiterleiten würden. So sei es möglich, Geräte an jedem Ort zu vernetzen, denn die smarten Mülleimer könnten sogar durch Wände und unter der Erde funken. Auch da, wo der bisherige Mobilfunk an seine Grenzen stieße. „Digitalisierungsprojekte im Rahmen des Internets der Dinge benötigen eine effiziente Übertragungstechnologie. Die Anwendungsfelder für uns sind vielfältig“, sagt DB-Systel-CEO Christa Koenen. „Von der Vernetzung unterschiedlicher Gegenstände im Bahnhof wie dem smarten Mülleimer, der ein Signal aussendet, wenn er geleert werden muss, bis zu Sensoren, die technische Anlagen überwachen und sich in funktechnisch schwer zugänglichen Bereichen befinden.“
Auch Zukunftsmusik, deren erste Töne wir bereits vernehmen: Unterflurmülleimer, mit deren Hilfe sich eine sehr hohe Sortenreinheit des Abfalls erreichen lasse, was den Wiedereinsatz der Wertstoffe erleichtere. Und Mülleimer, die beim Wegschmeißen von leeren Verpackungen beispielsweise automatisch für einen Eintrag des Produkts auf der Einkaufsliste sorgen.
In diesem Sinne können wir noch einiges von Mülleimern erwarten. Bleiben wir also gespannt!
1 Kommentar
Super Beitrag.