Einsatz von Kunststoff-Recyclaten – eine Müllwelt im Umbruch
Wir müssen reden. Dringend. Über Recyclate (auch Rezyklate) und ihren Einsatz als recycelter Rohstoff. Mir geht es insbesondere um Kunststoffe und ihre (Wieder)Verwertung. Denn der Kunststoffabfallmarkt befindet sich derzeit in einem massiven Umbruch, der unserer Aufmerksamkeit bedarf. Und damit gleich alle im Bilde sind, erkläre ich zunächst, was ein Recyclat ist und welches Potential es hat, bevor ich beschreibe, warum deutscher Plastikmüll nicht mehr wie eh und je nach China verschifft wird, sondern den hiesigen Verarbeitungsmarkt überflutet (oder plötzlich in Richtung Türkei fährt). Schließlich zeige ich euch die Chancen sowie Risiken und Nebenwirkungen auf, die besagter Umbruch unserer einheimischen Recycling-Industrie bringt.
Was sind Recyclate?
Mit dem Begriff Recyclate werden verarbeitungsfähige Kunststoffe bezeichnet, die mit definierten Eigenschaften daherkommen. Dabei kann es sich auch um Formmassen handeln. Solche Recyclate werden häufig anteilig in Neuware eingemischt. Wissen muss man, dass sogenannte Recyclate in ihrem werkstofflichen Werdegang in der Regel schon mindestens einmal verarbeitet worden sind. Als eine Art Oberbegriff beziehungsweise Sammelbegriff fasst Recyclate folgende Rohstoffe
- Mahlgut (gemahlene Kunststoffe mit unterschiedlich großen Partikeln zwischen zwei und fünf Millimetern und mit Staubanteilen)
- Regranulat (aus eingeschmolzenem Mahlgut gefertigtes Granulat mit gleichmäßiger Korngröße und ohne Staubanteile)
- und Regenerat (gleichmäßig große Partikel, die beim Einschmelzen (Compoundieren) entstehen, wobei zur Ausprägung bestimmter Eigenschaften Zusätze zugegeben werden, sogenannte Additve)
zusammen.
Die folgende Abbildung veranschaulicht den Werdegang von Recyclaten:
Damit hätten wir geklärt, was Recyclate sind: recycelte Rohstoffe aus Kunststoff, also Recyclingrohstoffe.
Welches Potential haben Recyclate?
Als Nächstes schauen wir auf den deutschen Umgang mit Kunststoffen, also deren Verarbeitung und Verbrauch, um herauszufinden, welches Potential Recyclate als Recyclingrohstoff besitzen und ob wir dieses hierzulande zu heben wissen.
Ich habe dazu den „Endbericht: Analyse/Beschreibung der derzeitigen Situation der stofflichen und energetischen Verwertung von Kunststoffabfällen in Deutschland“ der ITAD (Interessengemeinschaft der Thermischen Abfallbehandlungen in Deutschland e.V.) gefunden, der von der Consultic Marketing & Industriebberatung GmbH im April 2015 erstellt wurde und auf Daten aus dem Jahr 2013 beruht. Darin gibt es folgende Grafik:
Wissen sollte man dazu, dass sich der Kunststoffverbrauch von der Verarbeitung insofern unterscheidet, als dass auch Import- und Exportströme berücksichtigt werden.
Folgende Tendenzen zeigt der Endbericht unter anderem auf:
- Der Kunststoffwerkstoffverbrauch beim Endverbraucher habe 2013 mit etwa 9,69 Millionen (Mio.) Tonnen (t) um etwa 0,4 Prozent über dem Niveau von 2011 (9,65 Mio. t) gelegen. Hier wirke sich laut Aussage der Analysten das insgesamt leicht ansteigende Konsumverhalten in den beiden vorangegangenen Jahren in Deutschland aus. Ein Anstieg des Inlandsverbrauchs zeige sich dabei unter anderem im Bereich der Kunststoffverpackungen.
- Die gesamte Kunststoffabfallmenge (Thermoplaste und Duroplaste) habe demzufolge in Deutschland in 2013 etwa 5,68 Millionen Tonnen betragen. Dies bedeute eine Steigerung gegenüber 2011 um etwa 231 Kilotonnen (kt) bzw. 4,2 Prozent.
- Die Gesamtverwertungsquote habe unter voller Berücksichtigung energieeffizienter Müllverbrennungsanlagen mit Energieauskopplung bei etwa 99 Prozent gelegen. Nur etwa 1 Prozent der Kunststoffabfälle sei noch beseitigt worden.
- Der überwiegende Teil der Kunststoffabfälle stamme demnach aus dem sogenannten Post-Consumer Bereich. Hinsichtlich der Abfallströme seien insbesondere der private Verkaufsverpackungs- und Restabfall sowie der Gewerbeabfall von besonderer Relevanz gewesen.
Als mögliche Verwertungswege für Kunststoffabfälle zeigt der Bericht die folgenden vier auf:
- Verwertung sämtlicher Merkmale („re-use“)
- Werkstoffliches Recycling: Verwertung der physikalischen Bestandteile wie Regranulieren
- Ersatz von Primärware
- Materialersatz
- Rohstoffliches Recycling: Verwertung chemischer Bestandteile
- Energetische Verwertung: Verwerten chemischer Bindungsenergie wie Müllverbrennung und Einsatz als Ersatzbrennstoff
Dazu liefert uns der Bericht zwei Grafiken, die die Einsatzbereiche von Recyclaten aufzeigen. Wir sehen die Verwertung von Kunststoffabfällen von Polyolefinen (PELD, PE-HD, PP; europäische Daten) und PVC Profilen aus Produktion, Verarbeitung und Altfenster:
Der Bericht schreibt dazu, dass aus den konkreten Verwertungswegen in Deutschland ersichtlich werde, dass „etwa 76 Prozent des stofflichen Recyclings gebrauchter Produkte in Deutschland auf der Verwertung von Verpackungen“ basiere. Bezogen auf 4,75 Mio. Tonnen Post-Consumer Kunststoffabfälle seien demnach etwa 32 Prozent werkstofflich, 66 Prozent energetisch und 1 Prozent rohstofflich verwertet worden. Etwa 1 Prozent der Abfälle sei auf Deponien gelandet. Deutschland hätte damit eine der höchsten stofflichen Verwertungsquoten in Europa erreicht.
So weit, so gut.
Deutscher Umgang mit Kunststoffabfall: hier verwerten und nach China verschiffen
Als Nächstes wenden wir uns den Exporten und Importen von Kunststoffabfällen und Recyclaten zu. Dazu muss man wissen, dass Europa, allen voran Deutschland (406.000 Tonnen Altkunststoffe im ersten Halbjahr 2017), über viele Jahre und mit jährlich wachsenden Mengen Kunststoffabfall in Drittstaaten exportierte. 80 Prozent der 2,84 Millionen Tonnen Kunststoffabfall, die 2013 von Europa an Dritte exportiert worden seien, hätten dem ITAD-Bericht zufolge China und die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong abgenommen. Seit den frühen 1990ern fand dieser Müllstrom seinen Weg nach China. Wobei dies Großteils Kunststoffabfall war, der von minderer Qualität war – einer Qualität, die einheimische Recycler nicht verwerten wollten / konnten. Auch Indien und Malaysia hätten demnach stets große Mengen Kunststoffabfälle aus Europa importiert.
Deutschland habe dabei stets mehr Kunststoffabfälle exportiert als importiert, Großteils nach China und Hong Kong. Im Jahr 2012 gingen 67 Prozent der deutschen Kunststoffabfall-Exporte nach China, damit lieferte Deutschland nach den USA und Japan die drittgrößte Menge in das Reich der Mitte. Allein im Jahr 2016 habe die Volksrepublik China der TAZ zufolge rund 7,3 Millionen Tonnen Plastikmüll im Wert von 3,7 Milliarden Dollar eingeführt. Das entspreche demnach 56 Prozent der weltweiten Importe.
Nur zum besseren Verständnis: Wir reden hier von einem Gesamtwert aller exportierten Kunststoffabfälle aus Deutschland in 2012 von etwa 540 Millionen Euro, also 360 Euro pro Tonne Kunststoffabfall.
Dieser Wertstoffstrom nach China ist aus vielerlei Gründen umstritten, die ich hier nur anreißen kann: Zum einen verknappen die Fernostexporte das hiesige Angebot an Kunststoffabfällen, auf das einheimische Recycler angewiesen sind. Zum anderen lohne sich der Export nach China nur, weil dort äußerst niedrige Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards gelten würden.
China ergriff währenddessen verschiedene Maßnahmen um die nur stichwortartig genannten Zustände zu verändern: 2011 verschärfte man die Importkontrollen. 2012 kamen weitere Regelungen hinzu, darunter:
- Verbot von Recycling-Aktivitäten in Wohngebieten
- Verbot der Herstellung von Kunststoffverpackungen mit Lebensmittelkontakt aus Recyclingmaterial
- Verbot von Materialbehandlung ohne ausreichende Abwasserreinigung
- Verbot von Verbrennen von Kunststoffabfällen unter freiem Himmel
- Importverbot für gemischte Verbundverpackungen
- Importverbot von post consumer-Abfällen mit hohem Verschmutzungsgrad
Die Maßnahmen zeigten Wirkung: Im Jahr 2013 wuchsen die Exportzahlen von europäischem Kunststoffabfall erstmals nicht mehr. Zumal seit 1. Januar 2013 offiziell nur noch qualifizierte Betriebe mit behördlicher Lizenz Kunststoffabfälle importieren dürfen.
Die Folge: Die deutschen Ausfuhren nach China brachen im Jahr 2013 um 19,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ein, heißt es in dem ITAD-Bericht.
Im Sommer 2017 meldeten die Medien, dass die chinesische Führung angekündigt habe, „dass zum Schutz der Umwelt und der Gesundheit der Bevölkerung die Einfuhr von stark verschmutztem Hausmüll verboten werden soll“. Das hätte die chinesische Regierung in einem Schreiben an die Welthandelsorganisation (WTO) erklärt. In dem importierten Müll gebe es zu viel Abfall, schreibt die TAZ weiter, der auch für China unbrauchbar sei. Teilweise seien in dem importierten Müll gefährliche Giftstoffe gefunden worden. Aus diesem Grund werde China nicht mehr Abfall wie Kunststoffmüll, Textilreste, Papier, Schlacke aus der Stahlproduktion und anderes einführen.
Auf dem Kunststoffabfallmarkt bewegt sich was ganz Großes
Warum ich die aktuelle Lage so ausführlich geschildert habe? Weil sich hier gerade massive Wertstoffströme verschieben und weil wir derzeit vor neuen Verwertungssituationen stehen, die Chancen eröffnen und Risiken bergen:
- Der Kunststoffverbrauch steigt und steigt.
- Der Altkunststoffmarkt ist im Umbruch: Er wandelt sich von einem Anbieter- zu einem Nachfragemarkt.
- Die einheimischen Recycler hätten technische Möglichkeiten, Großteile des Kunststoffabfalls zu recyceln – selbst wenn dieser minderwertiger sei.
- Es könnten also theoretisch neue Produkte mit viel höheren Anteilen an oder gar ganz aus Recyclaten gefertigt werden.
Das böte rein theoretisch Raum für eine starke wertstoffliche Bewegung im Sinn der Kreislaufwirtschaft, die von den politisch hoch gesteckten Zielquoten fürs Recycling bedient werden könnte: So soll zum Beispiel die Recyclingquote für Kunststoffverpackungen von bisher 36 Prozent bis zum Jahr 2022 auf 63 Prozent steigen. Bei Verpackungen aus Metall, Glas und Papier peile man bis 2022 Recyclingquoten von 90 Prozent an.
Stellen sich mir die folgenden Fragen:
Führt der Überschuss an Kunststoffabfall auf dem Verarbeitungsmarkt dazu, dass auch minderwertiger Müll dem Recycling zugeführt wird oder verbrennen wir in Überschusszeiten einfach wieder mehr? Oder fahren unsere Containerschiffe mit Kunststoffabfall nun nicht mehr nach China, sondern in die Türkei oder nach Vietnam, wie es aktuelle Medienberichte andeuten? Was die Frage nach sich zöge, ob die oben angesprochenen Probleme dann ebenfalls verlagert würden?
Und ganz wichtig: Welche Rolle spielen die Verbraucher dabei? Könnte ein globales Umdenken in Richtung Konsum von Recyclingprodukten und damit weg von Plastikneuprodukten ohne Recyclate, wie ich es derzeit noch vermisse, bewirken, dass …
- … insgesamt weniger Kunststoff nachgefragt würde?
- … mehr Recyclate zum Einsatz kämen?
- … weniger Kunststoffabfall entstünde?
Schön wär’s!
1 Kommentar
Bei der spezifischen Migration muss man sicher auch darauf achten. Beim Trennen von Müll achte ich immer darauf, dass alles in die richtige Tonne gelangt. Das ist gar nicht so einfach, weil manches, das ich selbst in die Plastiktonne sortieren würde, dort gar nicht reingehört.