Urban Mining II: Auf der Suche nach urbanen Schätzen
Gastbeitrag – Teil 2: Von Mag. Brigitte Kranner
Im ersten Teil unserer Serie über Urban Mining haben wir uns dem Smart Design gewidmet (Urban Mining beginnt mit intelligenten Produkten). Heute beleuchten wir die zweite Säule, die die Stadt als urbane Mine prägt: den Rohstoffkataster. Was sich trocken anhört, entpuppt sich in Wirklichkeit als Schatzkarte. Sie offenbart wertvolle Daten über die städtischen Ressourcen. Machen wir uns also auf die Suche nach den urbanen Schätzen.
Worum geht es dabei? Nehmen wir Wien als Beispiel (die Daten gelten aber für jede größere Stadt in Mitteleuropa). Jeder Wiener ist „im Besitz“ von 200 bis 300 Kilogramm Kupfer. In dieser Gewichtsangabe sind beispielsweise das Kupferdach der Karlskirche oder die Oberleitungsdrähte der Straßenbahn enthalten. Eben alle sichtbaren, aber meist unbemerkten Objekte, die uns in der Stadt umgeben. In dieser Gewichtsangabe sind aber auch die „unsichtbaren“ Dinge enthalten wie die unterirdisch verlegten kupferhaltigen Stromleitungen oder das Kupfer, das in Fahrzeugen und Geräten verbaut ist.
Um die monetäre Dimension davon zu begreifen, reicht eine Milchmädchenrechnung: Wien hat rund zwei Millionen Einwohner, diese mal 300 Kilogramm Kupfer multipliziert, das Ganze mal dem Wert von Kupfer gerechnet, der derzeit um zirka fünf Euro pro Kilogramm an den Rohstoffbörsen gehandelt wird. Unter dem Strich kommt ein Kupferwert in der Höhe von drei Milliarden Euro heraus, den Wien besitzt. Aber keiner weiß genau, wo sich diese Schätze befinden.
Spätestens jetzt wird eines klar: Die Bezeichnung Rohstoff-Schatzkarte und die Forderung nach einem Rohstoffkataster sind mehr als nur notwendig.
Doch wie geht man an solch eine gigantische Aufgabe heran? Am besten teilt man sie in die zwei großen Bereiche:
- die Dokumentation der Rohstoffe in Neubauten (Lage und Menge) und
- die Dokumentation vorhandener Bauten und Infrastrukturen.
Die Dokumentation der Rohstoffe
Bei Neubauten wird man wohl auf die Methode der Gebäudedatenmodellierung zurückgreifen, besser bekannt unter Building Information Modeling (BIM). Mit dieser Software können alle relevanten Gebäudedaten digital modelliert, untereinander in Beziehung gesetzt und schließlich auch als virtuelles Modell des Bauwerkes dargestellt werden. Das Modell findet in der Planung, im Betrieb und in der Instandhaltung von Gebäuden Anwendung. Daten zum Rohstoffverbrauch und zur Situierung der Ressourcen hinzuzufügen, wäre ein Leichtes. Ende 2015 startete dazu ein groß angelegtes EU-Forschungsprojekt mit 16 teilnehmenden Institutionen. Die Ergebnisse sollen Ende 2018 bekannt werden. https://www.ar.tum.de/aktuell/news-singleview/article/eu-forschungsprojekt-buildings-as-material-banks/
Noch ist ein Gebäudepass als Ausgangspunkt für einen flächendeckenden Rohstoffkataster nicht vorstellbar. Einer der Hauptgründe liegt darin begründet, dass moderne Industriebauten eine Lebensdauer von 30 bis 50 Jahre haben, moderne Wohnbauten von ca. 100 Jahren. Was heute dokumentiert wird, ist vielleicht erst in sechs Generationen von Relevanz. Wer weiß schon, welche technischen Möglichkeiten es dann geben wird und in welcher Welt unsere Nachkommen leben werden. Das ist der Schwachpunkt des Gebäudepasses bei Neubauten.
Ein weiterer Grund ist, dass die Rohstoffknappheit unseren praktischen Alltag noch nicht erreicht hat. Sie lebt lediglich im universitären Diskurs und manchmal bei weit vorausblickenden politischen Strategen.
Die Dokumentation vorhandener Gebäude
Aktueller und mittelbarer nutzbar sind hingegen Forschungsprojekte, die den derzeitigen Gebäudebestand und die darin enthaltenen Rohstoffe zu erfassen versuchen. Diese Pioniere der Rohstoffkartierung greifen auf unterschiedliches, vorhandenes Datenmaterial zurück: alte Fotos, google earth, bestehende Katasterpläne, GIS-Daten von Kommunen, Informationsmaterial von Immobilienbüros und Firmenarchiven.
Dabei entscheiden sich die Forscher, ganze Regionen zu erfassen, wie zum Beispiel Liselotte Schebek von der TU Darmstadt. Sie und ihre Kollegen vom Fachgebiet Stoffstrommanagement und Ressourcenwirtschaft untersuchen die Industriebauten im fast 2500 Quadratkilometer großen Rhein-Main-Gebiet auf ihre Rohstoffpotenziale. http://www.r3-innovation.de/mediathek/r3/pdf/r3_Statusseminar/25_PRRIG_Schebek.pdf
Manche Wissenschafter klettern selbst auf Dachböden und durchforsten Keller von Abbruchobjekten, vermessen Rohrleitungen, bohren in Fußböden oder analysieren die Zusammensetzung von Mauerwerken. Genau das hat Fritz Kleemann von der Technischen Universität Wien für seine Dissertation „Methode zur Bestimmung der Materialzusammensetzung von Gebäuden vor dem Abbruch“ gemacht. http://urbanmining.at/ein-forscher-und-seine-urbane-mine/7082
Andere wiederum greifen ausschließlich auf bekanntes Datenmaterial zurück. Hans Daxbeck und seine Forscher der Ressourcenmanagement Agentur (RMA) haben die Häuser des Grazer Bezirkes Eggenberg fotografiert, in Altersklassen eingeteilt und mit den GIS-Daten der Gemeinde Graz und früheren Forschungsergebnissen über die Materialzusammensetzung verschiedener Gebäude zusammengeführt. So konnten sie eine erste Abschätzung über den Wert vorhandener Bausubstanz ermitteln. http://urbanmining.at/die-vermessung-von-eggenberg/6546
So unterschiedlich die Zugänge zum Rohstoffkataster sind, so zeigen all diese Arbeiten wie spannend und herausfordernd die Erstellung einer Rohstoffschatzkarte sein kann. Alles andere also als eine trockene Materie. Eine Materie, auf die wir in Zukunft zurückgreifen werden müssen.
Mag. Brigitte Kranner
ist Herausgeberin des Blogs Urban Mining www.urbanmining.at, der vor allem zum Ziel hat, ein Bewusstsein für den Einsatz von Sekundärrohstoffen zu schaffen. Für ihre Pionierarbeit im Bereich des Urban Minings gewann sie im Vorjahr den internationalen Urban-Mining-Award. In Vorträgen und Come Togethers von Interessenvertretern versucht sie immer wieder, das Thema Urban Mining weit über die Grenzen bekannt zu machen.
In einer losen Folge erscheinen von ihr auf dem Wertstoffblog insgesamt vier Teile. Teil 1 hat das Smart Design beleuchtet (Urban Mining beginnt mit intelligenten Produkten). Nach Teil 2, dem Rohstoffkataster, wird sich Teil 3 der Suche urbaner Lagerstätten widmen und um neue Recyclingtechnologien geht es im abschließenden vierten Teil.
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