Urban Mining III: Mit dem Arschleder urbane Lagerstätten erkunden

Gepostet von am 19. Mai 2017

Urban Mining III:  Mit dem Arschleder urbane Lagerstätten erkunden

Gastbeitrag – Teil 3: Von Mag. Brigitte Kranner

Werden in 100 oder 150 Jahren die frisch inskribierten Urban Mining Studenten auch noch den Sprung über das Arschleder wagen? Was dieses besondere Stück Stoff mit Bergwerksleuten zu tun hat und an welchen neuen Forschungseinrichtungen es künftig Verwendung finden kann, lesen Sie im dritten Teil unserer vierteiligen Serie zum Thema Urban Mining.

Das Arschleder – auch Bergleder oder Fahrleder genannt – ist ein halbrundes Lederstück, das sich Bergleute umbanden, um den Hosenboden zu schützen. Ursprünglich war der Sprung über besagtes Leder ein Aufnahmeritual der mittelalterlichen Zünfte. Heute symbolisiert es den Eintritt in den Bergmannstand.

Vielleicht wird das Arschleder auch an der noch zu gründenden Urban Mining Universität die Zugehörigkeit unter den Studenten stärken. Den Weg an die Montanuniversität Leoben hat es das gute Stück auf alle Fälle geschafft. Die mitten im steirischen Eisenabbaugebiet gelegene Fachuniversität bietet alles rund um den Bergbau: Da gibt es Studienrichtungen wie z. B. Rohstoffgewinnung und Tunnelbau, Rohstoffingenieurswesen, Rohstoffverarbeitung, Metallurgie oder Montanmaschinenbau. Dabei stehen das Auffinden, die Gewinnung und die Verarbeitung von Primärrohstoffen (Rohstoffe aus der Erdkruste gewonnen) im Vordergrund.

Montanuni: Antwort auf industrielle Revolution

Die Universität, 1840 gegründet, ist eine Antwort auf die massiven technischen Fortschritte im Maschinenbau und Verkehrswesen; eine Antwort also auf die industrielle Revolution. Mit der Massenproduktion stieg der Rohstoffverbrauch enorm. Große Mengen an Primärrohstoffen mussten in kurzer Zeit abgebaut werden. Das war mit Methoden, die seit dem Mittelalter mehr oder weniger unverändert geblieben waren, unmöglich.

Und so wird seit über 175 Jahren in Leoben systematisch geforscht und gelehrt: von der Prospektion – das Aufspüren von Rohstoffen – über Abbaumethoden und die dafür notwendigen Gerätschaften bis hin zur Verarbeitung der so gewonnenen Materialien.

Das bedeutet aber auch einen 175jährigen Wissens- und Methodenvorsprung gegenüber dem städtischen Bergbau. Und dieser ist weit davon entfernt, eine eigene Universität zu haben, wo Forschung und Lehre zum Auffinden, Abbauen und Verwerten von Sekundärrohstoffen gebündelt wären: eine Uni für Urban Mining, die den thematischen Faden vom Sekundärrohstoff zum Sekundärwerkstoff zieht.

Neben der Montanuniversität Leoben gibt es im deutschsprachigen Raum andere auf Abbau und Gewinnung von Rohstoffen spezialisierte Universitäten oder Fakultäten von technischen Universitäten, wie z. B. die Bergakademie in Freiberg, die TU Clausthal oder die FH Münster.

Prospektion steckt in Kinderschuhen

Speziell an diesen Häusern, aber auch an vielen anderen mehr- oder weniger artverwandten Bildungsinstitutionen, entstehen Studienrichtungen, die man unter dem Begriff Urban Mining zusammenfassen könnte. Mehr dazu unter: http://urbanmining.at/studieren-in-zukunftsbranchen/7218

Sabine Flamme, Professorin an der FH-Münster, meint dazu: „Wesentliche Bedeutung kommt dabei der urbanen Prospektion zu. Im Bergbau werden geologische, geophysikalische und geochemische Methoden der Prospektion zur Suche und Erkundung von neuen Lagerstätten angewandt. Auch für Urban Mining benötigt man entsprechende Methoden zum Finden und zur Bewertung von urbanen Lagerstätten. Derzeit steckt die Prospektion von urbanen Ressourcen noch in den Kinderschuhen. Um ein Urban Mining wirtschaftlich konkurrenzfähig zum primären Bergbau zu gestalten, ist es notwendig, entsprechende Methoden zur Prospektion urbaner Rohstoffe zu entwickeln.“

Die massive Nachfrage nach Primärrohstoffen durch die industrielle Revolution hat zur Gründung einer Bergbau-Universität geführt. Die massive Nachfrage nach Rohstoffen durch Bevölkerungswachstum, Hebung des Lebensstandards weiter Bevölkerungsschichten und durch den sorglosen Umgang mit endlichen Ressourcen verlangt nach einer Bildungseinrichtung, die Sekundärrohstoffe zum Forschungs- und Ausbildungsmittelpunkt macht.

Unverzichtbar: die Urban Mining-Uni

Ein Schritt in diese Richtung ist das neue Forschungsprojekt „Mining the European Anthroposphere“. Unter der Leitung der TU Wien, Institut für Wassergüte, Ressourcenmanagement und Abfallwirtschaft, werden Forscherteams aus über 20 europäischen Ländern Informationen über die anthropogenen – vom Menschen geschaffenen – Rohstoffquellen sammeln und aufbereiten. Sie wollen Daten der in Städten, Geräten, Fahrzeugen oder auf Deponien „zwischengelagerten“ Rohstoffe erheben, klassifizieren und bewerten. So sollen städtische Minen – gleich wie primäre Lagerstätten z. B. Goldminen oder Erdölfelder – auf Wirtschaftlichkeit, Abbaumöglichkeiten oder Ergiebigkeit untersucht werden.

In einer Urban Mining Universität müsste all das und noch vieles mehr gelehrt werden. Im Vorlesungsverzeichnis würden sich dann Kurse finden wie:

  • Erstellung eines Rohstoffkatasters für Gebäude in der Planungsphase
  • Das up-to-date Halten des Rohstoffkatasters
  • Das Einmaleins des zerlegbaren Autos
  • Das Auffinden von städtischen Rohstoffquellen durch Big Data
  • Das Zero-Ressource Communication Tool.

Alles spannende Themen. Und vielleicht werden die Studienanfänger der Urban Mining Universität im Jahre 2150 mit ihrer 3D-Brille über das virtuelle Rohstoff-Computermodell einer Stadt springen und gar nicht mehr wissen, dass sie diesen Initiationsritus zum städtischen Bergmann dem Arschleder schulden. Hauptsache das Bier danach schmeckt immer noch.

Mag. Brigitte Kranner

ist Herausgeberin des Blogs Urban Mining www.urbanmining.at, der vor allem zum Ziel hat, ein Bewusstsein für den Einsatz von Sekundärrohstoffen zu schaffen. Für ihre Pionierarbeit im Bereich des Urban Minings gewann sie im Vorjahr den internationalen Urban-Mining-Award. In Vorträgen und Come Togethers von Interessenvertretern versucht sie immer wieder, das Thema Urban Mining weit über die Grenzen bekannt zu machen.

In einer losen Folge erscheinen von ihr auf dem Wertstoffblog insgesamt vier Teile. Teil 1 hat das Smart Design beleuchtet (Urban Mining beginnt mit intelligenten Produkten). Nach Teil 2, dem Rohstoffkataster, wird sich Teil 3 der Suche urbaner Lagerstätten widmen und um neue Recyclingtechnologien geht es im abschließenden vierten Teil.

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