Brasilien: Abfallentsorgung – Der Blick in die Schwellenländer IV

Weltweit führend im Recycling von Aluminiumdosen und PET-Flaschen, mit Quoten von über 98 Prozent – und Heimatland der größten Müllhalde Südamerikas, und damit einer der größten der Welt. Das sind die zwei Gesichter, die uns Brasilien zeigt, wenn es um die Entsorgung von Abfällen geht.
Von einem ländlich und landwirtschaftlich geprägten Land entwickelte sich Brasilien im letzten halben Jahrhundert zu einem urbanen Land, in dem fast neun von zehn Menschen in Städten leben. Und wie bei vielen anderen Schwellenländern wuchsen die Städte so rasch, dass Infrastruktur und Abfallentsorgung nicht folgen konnten.
Die Catadores schultern den Abfall
Wie in nahezu jedem Entwicklungs- und Schwellenland ist die Rolle der privaten Müllsammler in der Abfallentsorgung groß und jene des Staates klein. Jahrzehnte schon machen es sich Menschen zum Beruf, auf Straßen und wilden Deponien wiederverwertbare Abfälle einzusammeln und diese an Firmen zu verkaufen, die daraus Recyclingrohstoffe gewinnen. Catadores nennt man diese Menschen. Mit ihnen steht und fällt die Abfallentsorgung in Brasilien, und dort vor allem in den Millionenstädten. Sie sind von der Gesellschaft geächtet, aber ihre Funktion ist von unersetzbarem Nutzen. Ihnen ist es zu verdanken, dass nahezu jede Aluminiumdose in Brasilien recycelt wird.
Bis zu einer Million Menschen arbeiten in Brasilien als Catadores. Viele von ihnen sind Frauen mit niedriger Bildung, die keine Arbeit finden. Oft leben sie in selbstgebastelten Häusern aus Holz, Pappe, Blech und Abfall. Sie sammeln unter gesundheitsschädlichen Umständen Abfälle und verkaufen diese an Firmen. Diese streifen rund 90 Prozent des Profits ein – den Catadores bleiben die restlichen zehn Prozent. Und dennoch: Die Situation der Catadores ist heute um ein Vielfaches besser als noch vor 20 Jahren. Viele schlossen sich zusammen zu Kooperativen – und sammeln nun unter einer Dachorganisation in Gruppen und besser organisiert. Ihr Einkommen entspricht ungefähr dem Mindestlohn von umgerechnet rund 240 Euro im Monat.
Private springen für den Staat in die Presche
Eine funktionierende Abfallentsorgung ohne Catadores? Unvorstellbar. Seit Jahren schon versuchen staatliche Behörden Akzente zu setzen – aber vergeblich. Brasilien ist ein föderales Land mit 26 Bundesstaaten. Bis Gesetze von ganz oben auch ganz unten greifen, vergehen oft viele Jahre. Und selbst wenn diese Gesetze vollzogen werden, gibt es Probleme. So wurde vor einigen Jahren verordnet, dass Supermärkte keine kostenlosen Plastiktüten mehr ausgeben dürften. Die Brasilianer waren es gewohnt, ihre Einkäufe in viele kleine Plastiktüten zu packen und dann nach Hause zu tragen. Damit die Tüten nicht reißen, wurde manchmal eine in die andere gestülpt. Und die Gewohnheit hatte gesiegt. Die Supermärkte hielten sich nicht an das Gesetz und auch die Kunden wollten nicht auf ihre Plastiktüten verzichten. Das Gesetz wurde gekippt.
Aber nicht nur die Gesetzgebung, auch die staatlichen Dienstleistungen sind in Bezug auf die Abfallentsorgung schwach. In der Millionenstadt Belo Horizonte sammeln die Catadores viermal so viel Abfall wie die Stadt. Seit 2010 sind die Catadores sogar durch ein Abfallgesetz legitimiert. Dieses schreibt den Kommunen vor, mit den ansässigen Kooperativen beim Recycling zusammenzuarbeiten. Das Abfallgesetz schreibt außerdem vor, dass möglichst viele Stoffe wiederverwertet werden sollen. Das Problem: Staatliche Kontrollen gibt es kaum. Es sind die Unternehmen, die die Zusammenarbeit mit den Kooperativen vorantreiben. Denn sie brauchen die Recyclingrohstoffe.
Öffentlicher Sektor versagt
Während die Zusammenarbeit zwischen Recyclingunternehmen und Catadores gut funktioniert, ist er öffentliche Sektor bei seinen Aufgaben säumig. Bis 2012 hätten alle Gemeinden ein Müllentsorgungskonzept ausarbeiten sollen. Die Bundesregierung stellte Geld und Weiterbildungsprogramme in Aussicht. Doch bis Anfang 2014 hatten 80 Prozent der Kommunen noch keinen Plan für ihr Abfallmanagement vorgelegt.
Im Zuge der Fußball-WM 2014 in Brasilien hatten zumindest die Austragungsstädte versucht, sich von ihrer besten Seite zu zeigen. So wurde 2012 in Rio de Janeiro „Jardim Gramacho“, die bis dato größte Müllhalde Südamerikas, beseitigt und durch eine moderne Recyclinganlage ersetzt. Die Stühle des neu erbauten Stadions in der Hauptstadt Brasilia wurden aus recycelten PET-Flaschen hergestellt.
Brasilien als Vorbild für andere Schwellenländer?
Das Abfallgesetz in Brasilien, das Unternehmen und Müllsammler miteinbezieht, könnte als Vorbild für andere Entwicklungs- und Schwellenländer dienen. Theoretisch. Denn der Trend sieht anders aus. Viele ärmere Länder modernisieren die Müllabfuhren, ohne die informellen Müllsammler zu berücksichtigen. Und das ist schade, denn diese haben den staatlichen Institutionen eines voraus: Know-how.
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CHINA: ABFALLENTSORGUNG – DER BLICK IN DIE SCHWELLENLÄNDER III
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INDIEN UND ÄGYPTEN: ABFALLENTSORGUNG – DER BLICK IN DIE SCHWELLENLÄNDER I
Quellen:
http://www.bvse.de/2/6659/Entwicklung_der_brasilianischen_Abfallwirtschaft_ist_zweigeteilt
https://www.welt-sichten.org/artikel/21523/brasilien-die-bezwinger-der-abfallberge?page=all
http://www.zeit.de/zeit-wissen/2012/04/Abfall-Sao-Paulo/komplettansicht
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