EU: Versuch einer einheitlichen Berechnung der Recyclingquoten
In der Richtlinie über Abfälle haben sich die Mitgliedstaaten vor knapp zehn Jahren das Ziel gesetzt, bis 2020 mindestens 50 Prozent der Wertstoffe – also zumindest Papier, Metall, Kunststoff und Glas – aus Haushaltsabfall und möglicherweise aus anderen Quellen zu recyceln bzw. zur Wiederverwendung aufzubereiten.
In einer Kommissionsentscheidung wurden daraufhin Regeln zur Überprüfung der Einhaltung dieses Ziels festgelegt. Die Mitgliedstaaten durften sich eine von vier Grundmengen (1. Wertstoffe aus Haushalten; 2. Wertstoffe aus Haushalten, Gewerbe und Industrie; 3. Gesamter Haushaltsabfall; 4. Siedlungsabfall) aussuchen, auf die sie die Zielsetzung beziehen. Für die Statistik kann aufgrund der Entscheidung bereits getrennt gesammelter Abfall als recycelt zählen. Die Mitgliedstaaten können aber auch die in endgültige Recyclingprozesse eingebrachten Mengen erheben.
Unterschiedliche Zielsetzungen
Die Zielsetzung der Richtlinie über Abfälle können Mitgliedstaaten demnach auf völlig unterschiedliche Art erreichen. De facto verpflichteten sich einige, bis 2020 zumindest die Hälfte des Haushalts- oder Siedlungsabfalls getrennt zu sammeln, und andere, bis 2030 zumindest die Hälfte aller Wertstoffe zu recyceln.
Das Kreislaufwirtschaftspaket der Europäischen Kommission vom Dezember 2015, das einen Änderungsvorschlag der Richtlinie über Abfälle enthält, sieht eine Erhöhung der Zielsetzungen bis 2025 und 2030 vor. Zudem beabsichtigt die Kommission, eine stärkere Harmonisierung der Zielsetzung und der Prüfung ihrer Einhaltung zu erreichen.
Definition Siedlungsabfall als Hürde
Die Kommission hat vorgeschlagen, dass alle Mitgliedstaaten die neuen Recyclingziele auf den gesamten Siedlungsabfall beziehen. Um ein einheitlicheres Verständnis von Siedlungsabfall zu fördern, schlug die Kommission vor, den Begriff in der Richtlinie über Abfälle zu definieren. Denn die an die europäische Statistikbehörde gemeldeten Daten über das Siedlungsabfallaufkommen sind nicht vergleichbar. Einige Mitgliedstaaten beziehen fast keine Abfälle aus Gewerbe und Industrie in das Siedlungsabfallaufkommen mit ein. Ebenso ist getrennt gesammelter Verpackungsabfall nicht überall Siedlungsabfall. Wiederum andere ergänzen die tatsächlich gesammelten Siedlungsabfälle um eine Schätzung über im Haushalt kompostierte Bioabfälle.
Die Abgrenzung zum Gewerbe- und Industrieabfall soll gemäß Kommissionsvorschlag über die Art, Zusammensetzung und Menge des Abfalls geschehen. Der Bericht „Support to the Waste Targets Review“ (EUNOMIA, 22. 7. 2016) geht davon aus, dass bei Anwendung der vorgeschlagenen Definition das Siedlungsabfallaufkommen der EU 2012 um 20 Prozent höher ausgefallen wäre. In elf Mitgliedstaaten hätte das Siedlungsabfallaufkommen sogar um mehr als 50 Prozent höher gelegen.
Das Europaparlament sieht vor, das Mengenkriterium zu streichen. Somit sollen den Verwaltungen der Mitgliedstaaten mehr Freiheiten zugestanden werden, auch Abfälle aus großen Gewerbebetrieben mit in die Recyclingquote für Siedlungsabfall einfließen zu lassen, wenn diese in Art und Zusammensetzung mit Haushaltsabfall vergleichbar sind.
Messpunkte entlang der Wertschöpfungskette
Im Juli 2015 konsultierte die Kommission die Mitgliedstaaten zur gewünschten Berechnungsmethode. Laut Abschlussbericht sprach sich die Mehrheit der 20 teilnehmenden Mitgliedstaaten für einen Messpunkt nach der Sortierung aus. Lediglich zwei Mitgliedstaaten waren dafür, die Möglichkeit beizubehalten, getrennt gesammelte Mengen zu messen.
Die Kommission schlug also vor, die recycelte Menge beim Eingang in den finalen Recyclingprozess zu messen. In gerechtfertigten Gründen dürfe die Menge bereits beim Verlassen des Sortierprozesses gemessen werden. Die Bedingungen dafür sollen sein, dass gesichert ist, dass die Menge tatsächlich recycelt wird und die Menge höchstens zehn Prozent Fremdstoffe enthält, die im weiteren Verlauf verloren gehen.
Das Europaparlament möchte den zweiten Messpunkt, den Output der Sortieranlage, streichen, um einen einzigen Messpunkt einzuführen. Hintergrund scheint zu sein, dass nur als gutes Recycling betrachtet wird, was im europäischen Binnenmarkt in Produktionsprozessen eingesetzt wird. Wenn die recycelte Menge ausschließlich beim finalen Recyclingprozess, also in den Produktionsanlagen, erhoben werden darf, fließt die von der Sortieranlage fertig aufbereitete und an Produzenten außerhalb der EU verschiffte Recyclingware nicht mit in die Statistik ein.
Recyclingquoten – EU ist keine Enklave
Für den Ausbau der Kreislaufwirtschaft ist die Einstellung des Europaparlaments hinderlich. Aus Abfällen fertig sortierte und aufbereitete Rohstoffe werden wie andere Rohstoffe auch im Welthandel vermarktet. Bedeutende Abnehmer liegen in den aufstrebenden industriellen Zentren in Asien, aber zum Beispiel auch in der Türkei. Insbesondere der Altpapier-, Altmetall- und Altkunststoffhandel ist international aufgestellt. Dass nun über die Recyclingquoten politischer Druck ausgeübt werden soll, die aufbereiteten Wertstoffe ausschließlich im europäischen Binnenmarkt einzusetzen, steht nicht im Einklang zur erklärten Absicht des Europaparlaments, die Märkte für Sekundärrohstoffe weiter auszubauen und zu fördern.
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