Deponierungsverbot: Verwertung von Siedlungsabfall „Deutsche Deponiesünden“ – Teil 3

Wie versprochen soll der dritte Teil meiner Serie zur Deponierung aufzeigen, mit welchen Altlasten wir es heute in Deutschland zu tun haben und welche Ansätze es gibt, die deutschen Deponiesünden wertstoffgerecht zu behandeln und in rohstoffliche Chancen umzuwandeln.
Vorbemerkung
Wer beim Thema Deponierungsverbot noch nicht ganz im Bilde ist, dem empfehle ich die Lektüre der ersten beiden Teile dieser Artikelreihe „Deponierungsverbot für Europa: Verwertung von Siedlungsabfall ‚Made in Germany‘ – Teil 1“ und „Deponierungsverbot für Europa: Verwertung von Siedlungsabfall ‚Made in Europa‘ – Teil 2“ sowie die Pressemeldung des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e. V. (BDE), die mich zu der Serie inspirierte. Denn damit zeigte ich euch bereits auf, wie es um das
- das Aufkommen
- und die Verwertung
von Siedlungsabfällen in Deutschland und in Europa bestellt ist. Man könnte nach der Lektüre der ersten beiden Artikel schlussfolgern, dass wir Europäer
- noch immer zu viel Siedlungsabfall produzieren,
- noch immer zu wenig Siedlungsabfall wertstoffgerecht (wieder-)verwerten und
- noch immer zu viel Siedlungsabfall deponieren.
Ebenso könnte man festhalten, dass die nationalen Aufkommen von Siedlungsabfällen erfreulicherweise sinken und die Verwertungsquoten steigen. Auch die Deponierung scheint über kurz oder lang ein Ende zu finden. Ich hätte also meine Artikelreihe nach Teil 1 und 2 schließen können.
Hätte, hätte, Fahrradkette . . .
Denn leider ist es nicht nur unser tagtäglich anfallender Siedlungsabfall, mit dem wir es heute zu tun haben. Nein, wir müssen uns auch mit den Deponiesünden unserer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern auseinandersetzen. Und um die dreht sich der vorliegende Beitrag.
Deutsche Deponiesünden – worum geht’s da eigentlich?
Wir profitieren heute zum einen von den Entwicklungen, die die Industrialisierung im 19. und 20. Jahrhundert mit sich brachte. Zugleich macht uns das Erbe unserer industriellen Vergangenheit inzwischen schwer zu schaffen. Der WDR beschreibt die problematische Lage in dem Protokoll zu seiner Sendung „Quarks & Caspers – Müll – 7 Dinge, die Sie wissen sollten“ so:
„Besonders die Böden unter alten Zechen und Kokereien, chemischen Reinigungen und anderen Gewerbebetrieben sind mit Teerölen, Kohlenwasserstoffen, Lösungsmitteln und anderen giftigen Rückständen verseucht. Bis in die 1970er-Jahre wurden Industrieabfälle häufig einfach in der Landschaft entsorgt. Erst das Abfallbeseitigungsgesetz von 1972 konnte diese Umweltsünden eindämmen. Aber das Gift steckt vielerorts noch immer im Boden. Und nicht nur die Industrie ist für Altlasten verantwortlich. Sie entstanden zum Beispiel auch im Krieg. Bombenangriffe hinterließen Sprengkörper und zerstörte Industrieanlagen. Austretende chemische Substanzen gelangten so in den Boden und lagerten sich dort ab. Und auch Infrastrukturbrachen (Bahnliegenschaften) und militärische Liegenschaften (zum Beispiel Truppenübungsplätze) zählen zu den öffentlichen Altlasten.
Da stelle ich mir sofort die Frage:
Wie viele solcher Altlasten gibt es in Deutschland?
Zum Glück weiß der WDR-Bericht die Antwort:
„In Deutschland gibt es heute über 30.000 registrierte Altlastenflächen, die meisten davon auf unbewohntem Gebiet. Dazu kommen über 300.000 Flächen, unter denen eine Altlast vermutet wird. Ein Viertel der Verdachtsflächen haben die Behörden bisher überprüft – beim Rest, also bei rund 80.000 Flächen, hat die sogenannte ‚Gefahrenabschätzung‘ noch nicht stattgefunden. Das heißt, man kann noch nicht beurteilen, ob die Flächen saniert werden müssen oder nicht. Experten schätzen allerdings, dass nur bei circa zehn Prozent dieser Verdachtsflächen tatsächlich eine Sanierung notwendig sein wird. Die Behörden arbeiten seit den 1980er-Jahren die Verdachtsliste nach und nach ab. Dabei prüfen sie besonders ‚sensible‘ Flächen zuerst: Wohngebiete, Kinderspielplätze, das Gelände von Kindergärten und Schulen. Die betroffenen Flächen sind unterschiedlich groß – manchmal sind es nur einige Quadratmeter, häufig aber auch viele Hektar – zum Beispiel auf ehemaligen Zechengeländen.“
Die Zahlen sind erschreckend hoch. Leider funktioniert hier nicht, was anderswo im Erbrecht mit einem Gang zum Notar zu erledigen wäre: das Ausschlagen des Erbes. Und schon frage ich mich:
Wie gehen wir derzeit mit den Deponiesünden um?
Laut WDR so:
„Wird eine Altlastenfläche als gesundheitsgefährdend eingestuft, wird sie entweder saniert oder von der Umwelt abgeschirmt und dauerhaft überwacht. In Deutschland gibt es Tausende solcher dauerhaft überwachten Altlastenflächen. Auf einigen Flächen in Deutschland gibt es sogenannte schädliche Bodenveränderungen. Hier ist der Boden so großflächig belastet, dass eine Sanierung nicht möglich ist. Die Anwohner bekommen in diesen Fällen in der Regel je nach Grad der Belastung Vorsorgemaßnahmen empfohlen, um ihre Gesundheit nicht zu gefährden: keine Früchte im Garten ernten, kein Gemüse mit tiefwachsenden Wurzeln anbauen beziehungsweise nur in Hochbeeten, nach der Gartenarbeit die Hände waschen und Kleinkinder auf diesen Flächen nicht spielen lassen. Betroffene Flächen sind zum Beispiel im Harz die Gegend um Gosslar oder in Sachsen der Freiberger Raum. In Nordrhein-Westfalen gibt es solche schädlichen Bodenveränderungen im Duisburger Stadtteil Wanheim-Angerhausen und darüber hinaus. Auch die Gegenden um Mechernich und Stolberg bei Aachen sind betroffen. Und selbst wenn saniert wird: Altlast-Sanierungen sind teuer. Die Behörden müssen abwägen – möglichst große Gefahrenabwehr zu einem bezahlbaren Preis.“
Wenn ich dann noch lese, dass wir dem WDR zufolge für diese Deponiesünden noch gut zwei Generationen lang „büßen“ müssen und sie teils sogar auf ewig auf unserem Planeten deponiert haben . . .
„Experten schätzen, dass es noch mindestens zwei Generationen lang dauern wird, bis die Deutschen ihre Altlasten-Verdachts-Liste abgearbeitet haben. Weil aber immer wieder auch Altlasten dazukommen und viele Altlasten nicht komplett entfernt werden können, werden wir sie wohl niemals ganz loswerden.“
. . . dann fühle ich mich ohnmächtig. Ohnmächtig, weil ich meinen Altvorderen gerne in den Hintern treten wollen würde wegen ihren Deponie-Sünden (und nicht nur denen!). Und ohnmächtig, weil die Industrialisierung offensichtlich bis heute weiter sündigt (natürlich viel effizienter!), zum Beispiel in der Landwirtschaft (Stichworte: Monokultur, künstliche Düngung und Bewässerung, Überdüngung, Genmanipulation) und der Viehwirtschaft (Stichworte: Massentierhaltung und Massentiermord) – um nur einiges an Beispielen anzuführen.
Und wir versündigen uns immer noch
Und es kommt noch schlimmer: Denn wir haben es laut WDR nicht nur mit den eben angesprochenen Altlasten zu tun, sondern auch mit den Tag für Tag anfallenden …
… „Unmengen von Giftmüll aus Industrie und Hausmüllverbrennung. In diesen Abfällen finden sich hochkonzentriert unter anderem Quecksilber, Arsen, Cadmium, Cyanide und Dioxine. Allein in Deutschland fallen jährlich mehrere Millionen Tonnen Giftmüll an und Zehntausende von Tonnen werden sogar zusätzlich importiert. Während es beim Atommüll seit Jahrzehnten eine aufgeregte Debatte über Endlagerstandorte und -konzepte gibt, sind diese beim Giftmüll schon längst Realität. Ohne dass es die breite Öffentlichkeit weiß, wird er in unterirdischen Lagerstätten deponiert – in Salzbergwerken, angeblich sicher für die Ewigkeit.“
Schlimm finde ich auch, dass wir uns unser heutiges, sündiges Deponiegebaren auch noch schön reden:
„Offiziell gibt es nur vier Untertagedeponien für Giftmüll in Deutschland, doch die wirkliche Zahl liegt viel höher. Denn es gibt Giftmülldeponien in Deutschland, die nicht so heißen: zwölf sogenannten ‚Untertageversatzbergwerke‘. Das sind ebenfalls alte Salzbergwerke, in denen ähnlich giftiger Müll eingelagert wird wie in den Deponien. Offiziell geht es aber in diesen Versatzbergwerken nicht um die Endlagerung des Giftmülls. Der Müll wird eingesetzt, um die alten und zum Teil instabilen Bergwerke zu stützen. So ist ein und derselbe Müll einmal Abfall und einmal ‚Bergversatz‘. In beiden Fällen sind die Sicherheitsanforderungen ähnlich – unter anderem soll die Langzeitsicherheit für Hunderttausende von Jahren garantiert sein. Die Untertageversatzbergwerke haben gegenüber den Untertagedeponien aber einen grundsätzlichen Nachteil: Per Definition lässt sich der Giftmüll nach seiner Einlagerung dort nicht mehr herausholen – schließlich stützt er ein instabiles Bergwerk. So handelt man sich mit den billigeren Entsorgungskosten ein Problem ein: Sollte sich die geologische Formation doch eines Tages als unsicher erweisen oder möglicherweise illegal unzulässige Stoffe abgelagert werden, lässt sich das nicht mehr korrigieren. Unter Umständen ist dann das Trinkwasser und damit auch der Mensch in Gefahr.“
Die große Chance: Urban Mining – Verwertung der Altlasten von alten Siedlungsabfallbeponien
Ich bin froh, dass es Leute wie den Rohstoffexperten Stefan Gäth von der Universität Giessen gibt. er Mann ist einer der Wissenschaftler, die hoffnungsvoll daran arbeiten, aus dem Siedlungsabfall von einst Wertstoffe zu holen und damit unser Sündenregister zu kürzen. Der WDR schreibt dazu:
„In der Wohlstandsgesellschaft der jungen Bundesrepublik war Konsum angesagt (Wer mehr dazu lesen will, schaut mal in die Geschichte des Recyclings, Kapitel über die 1950er und ff., hier auf unserem Wertstoffblog. – Anmerkung der Redaktion). In ganz Deutschland entstanden bis in die 1980er-Jahre riesige Deponien, auf denen fast alles gelagert wurde – von Haushaltsmüll bis hin zu Elektrogeräten. . . . Der Rohstoffexperte Stefan Gäth von der Universität Giessen hofft, große Mengen von Metallen wie Kupfer oder Gold in alten Elektroartikeln zu finden. Auch jede Menge Stahl, der zum Beispiel in alten Fahrrädern verwendet wurde, könnte in der alten Deponie stecken. Vor allem aber suchen die Wissenschaftler nach einem ganz besonderen Rohstoff: Seltene Erden – das sind Metalle, die heute in Handys und Notebooks verwendet werden. Die Nachfrage ist riesig, doch das natürliche Vorkommen knapp. Ganz ähnlich sieht es zum Beispiel mit dem Rohstoff Phosphor aus – Dünger für die Landwirtschaft. Natürlicherweise findet man ihn in Böden in Afrika, China und den USA, aber Experten gehen davon aus, dass die weltweiten Phosphorreserven nur noch wenige Jahrzehnte halten. In alten Deponien hingegen fanden die Wissenschaftler Phosphor in angelagerten Klärschlämmen. . . . Auf Bundesebene gehen Schätzungen von einem enormen Rohstoffpotenzial deutscher Mülldeponien aus. Experten schätzen, dass etwa 50 Prozent des deutschen Jahresbedarfs an Aluminiumschrott, 124 Prozent des Eisen- und sogar 142 Prozent des Kupferbedarfs mit Rohstoffen aus dem Müll gedeckt werden könnten. Sie schätzen außerdem, dass die deponierten Mengen Phosphor den bundesdeutschen Bedarf für die Landwirtschaft für etwa zweieinhalb Jahre decken könnten. . . . Rohstoffexperten wie Stefan Gäth sind zuversichtlich. Es sei in vielen Fällen nur noch eine Frage der Zeit, ab wann sich der Rückbau wirtschaftlich lohne. Und je nach Entwicklung der Rohstoffpreise könne dies schon sehr bald der Fall sein.“
Irgendwie fallen mir jetzt nur noch die Worte „Einer trage des anderen Last“ ein (ein Zitat aus dem Galaterbrief, Galater 6,2). Ich würde sie aktualisieren wollen zu: Einer trage des anderen Altlast.
Die Ausführungen hier zeigen mir eins: Es ist an der Zeit, Fortschritt neu zu denken. Zum Beispiel im Sinne eines Kreislaufs (wie ihn das gesellschaftliche Konzept „Craddle-to-Craddle“ meint) und im Sinne einer in Maximalprofit mündenden Erfolgspyramide. Es geht nicht um globale Lösungen im Sinne von „eine für alle“, sondern vielmehr um dezentrale und differierende Lösungen im Sinne von: „eine für jeden“.
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