Vertagter Entsorgungsnotstand: HBCD in Dämmstoffen

Im vergangenen Jahr sorgten vier Buchstaben für Furore in der Entsorgungswirtschaft: HBCD. Hinter dieser Abkürzung verbirgt sich das Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan, das bis einschließlich 2015 in Dämmstoffplatten aus Styropor zum Einsatz kam. Warum nun Furore? Werfen wir einen Blick zurück:
Problemfall HBCD im Rückblick
Im Herbst letzten Jahres blieben auf vielen Baustellen Deutschlands mit HBCD behandelte Dämmstoffplatten liegen. In Folge von (energetischen) Sanierungen gelangten diese Platten wieder ans Tageslicht. Der Grund, warum diese Materialien nun auf Baustellen liegen blieben, ist, dass seit dem 30. 9. 2016 HBCD in der Abfallverzeichnisverordnung (AVV) als gefährlicher Abfall eingestuft wurde. Demnach wird der Stoff HBCD mit einer Konzentrationsgrenze von 1.000 mg/kg in der AVV gelistet, so dass ab dem 30. 9. 2016 Abfälle, die diesen Schadstoff in dieser Konzentration enthalten, als gefährlich zu deklarieren sind. Das heißt, sie sind aus dem Wirtschaftskreislauf auszuschleusen und einem Entsorgungsverfahren zuzuführen beziehungsweise müssen so verwertet oder beseitigt werden, dass der Schadstoff zerstört wird.
Der Bundesrat kommt einerseits der europäischen Verordnung für persistente und organische Schadstoffe nach, im Fachjargon POP-Verordnung genannt. Die AVV ist mit der POP-Verordnung dynamisch verknüpft; Schadstoffeinstufungen in der POP-Verordnung werden also automatisch für die AVV übernommen. Andererseits ist jedoch die Einstufung von HBCD als gefährlich von der europäischen POP-Verordnung nicht gefordert. Diese Übereinstufung ist ein Produkt des deutschen Bundesrates. Der Rattenschwanz in Form der verkomplizierten Entsorgungssituation von HBCD-haltigen Dämmplatten ist kein Verschulden der EU.
Entsorgungsnotstand auf deutschen Baustellen
Jedenfalls mussten seit dem 30. 9. 2016 HBCD-haltige Dämmplatten gesondert gesammelt, transportiert und verbrannt werden – in der Praxis kam es so über Nacht zu Entsorgungsengpässen, denn nur wenige (Sonder-)Müllverbrennungsanlagen haben die Genehmigung, den nach der AVV gelisteten gefährlichen Abfall entsorgen zu dürfen. Die Anlagen, die über eine Genehmigung verfügen, reichten an der Zahl nicht aus, um dem konzentrierten Entsorgungsbedürfnis Herr zu werden. Schnell machte der Begriff Entsorgungsnotstand die Runde.
Außerdem wird auch die Verbrennung besagter Dämmstoffe als Monochargen, also einzeln, als technisch problematisch gesehen. Aufgrund des physikalischen Verhaltens und des äußerst hohen Heizwertes (analog Mineralöl) wird die Verbrennung in Müllverbrennungsanlagen als technisch nicht möglich betrachtet. Zudem wären Probleme bei der Rauchgasreinigung zu erwarten. HBCD-haltige Dämmplatten wurden bislang in der Regel nicht als Monochargen verbrannt.
Von einer Behelfslösung zur nächsten
Verbände des Handwerks, des Baugewerbes und der Entsorgungswirtschaft forderten einhellig eine Entspannung der Situation: Für den bundesweiten Vollzug war es zwingend erforderlich, dass in der Praxis eine funktionierende Lösung gefunden wurde, um die bislang reibungslose Entsorgung auch weiterhin rechtssicher zu gewährleisten. Sodann machten sich die Bundesländer nach und nach auf, spezifische und unterschiedliche Regelungen aufzusetzen, die in ihrer Reichweite natürlich an der jeweiligen Grenze des Bundeslandes endeten. In Summe waren die Regelungen für die Wirtschaft nur als bedingt funktionierende Behelfslösung zu sehen. Schnell machte der Begriff föderaler Flickenteppich die Runde.
Der vernünftige Vorstoß der Bundesländer Saarland und Sachsen, in der Umweltministerkonferenz für eine Rückstufung von HBCD zu werben, stieß bedauerlicherweise auf taube Ohren. Stattdessen beschloss der Bundesrat als kleinsten gemeinsamen Nenner ein einjähriges Moratorium: Bis zum 27. 12. 2017 gilt HBCD vorerst als nicht gefährlicher Stoff. Ein zeitlich befristeter Reset in Sachen HBCD sozusagen. Allerdings auch nicht mehr als eine weitere Behelfslösung.
Langfristige Entsorgungssicherheit schaffen!
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Flickenteppich und Moratorium haben die Lage entspannt und waren für den Anfang nicht die schlechtesten Maßnahmen, keine Frage. Aber das abzuwartende Ende dieser Geschichte wird zeigen, ob weitere Behelfslösungen folgen oder ob eine vernünftige Lösung – die da wäre, den dynamischen Verweis auf die POP-Verordnung bezüglich HBCD zurückzunehmen – gefunden wird.
Es ist zudem wenig hilfreich, zu fordern, wie es Befürworter der Einstufung von HBCD als gefährlich tun, dass deutschlandweit thermische Behandlungsanlagen Genehmigungsprozesse durchlaufen müssen. Denn für die fachlich einwandfreie Entsorgung spielt es keine Rolle, ob HBCD-haltiges Material als gefährlich oder nicht gefährlich eingestuft wird.
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