Schweden: Weg mit der Wegwerfkultur!

Gepostet von am 5. Okt 2016

Schweden: Weg mit der Wegwerfkultur!

Schweden plant Steuervergünstigungen auf Reparaturen – bringt das was?

Die Nachricht, dass Schwedens rot-grüne Regierungskoalition dem Parlament einen Gesetzentwurf vorgelegt habe, der zum einen die Umsatzsteuer von Reparaturdiensten aller Art von bislang 25 auf dann zwölf Prozent senken und es zum anderen Privatpersonen ermöglichen würde, die Hälfte der Arbeitskosten bei der Reparatur von Haushaltsgeräten wie Kühlschränken, Mikrowellen, Geschirrspülern, Waschmaschinen oder Fahrrädern von ihrer eigenen Einkommensteuer abziehen zu können, machte dieser Tage die Runde in den europäischen Medien. Grund genug für mich, zu fragen, ob eine Umsatzsteuersenkung tatsächlich dazu führen könnte, Gebrauchsgegenstände länger zu wertschätzen und zu nutzen, anstatt sie vorschnell mit neuen zu ersetzen.

Schwedens Finanzminister Per Bolund (Grüne) sagte in einem Interview mit The Guardian, es gäbe in Schweden gerade eine Veränderung. Das Bewusstsein dafür wachse, dass Sachen länger halten müssten, um weniger Ressourcen zu verbrauchen. Das Vorlegen des Gesetzentwurfs kommentiert er gegenüber der Presse mit den Worten: „Wir glauben, das könnte die Kosten wesentlich verringern und das Reparieren von Dingen somit zu einer wirtschaftlich sinnvollen Entscheidung machen“.

Was bewirkt eine Senkung der Umsatzsteuer auf Reparaturen?

In Schweden ist es nicht viel anders als in Deutschland: Wer einen leicht defekten Gebrauchsgegenstand hat, kommt, vor allem wegen der hohen Personalkosten, mit einem Neukauf, sprich: Ersatz des defekten Altgeräts, das dann weggeworfen wird, meist billiger  weg, als wenn er das kaputte Gerät in die Reparatur gäbe. Gründe dafür, dass ein Neukauf oft lohnenswerter ist als eine Reparatur, sind einerseits die günstigen Neupreise für Gebrauchsgegenstände und andererseits die vergleichsweise hohen Reparaturkosten.

Schweden hat mit seinem bislang einmaligen und deshalb so vielfach medial aufgegriffenen Gesetzentwurf zur Umsatzsteuersenkung (hierzulande gleichbedeutend mit dem Begriff Mehrwertsteuer) für Reparaturen vor, diese zu subventionieren, um schlussendlich Neukäufe einzudämmen, die einen verschwenderischen Umgang mit Wertstoffen und Ressourcen implizieren. Dem Entwurf vorhergehende Marktuntersuchungen hätten gezeigt, so schreibt es beispielsweise die Südwest Presse online (SWP), dass die Reparaturdienstleister nach einer Halbierung der Umsatzsteuer ihre Preise spürbar senken würden. Ein Effekt, der in der schwedischen Dienstleisterbranche, die demnach einen sehr scharfen Wettbewerb führe, einiges bewegen würde.

Die Umsatzsteuersenkung träfe in Schweden Reparaturdienstleister wie Schuhmacher, Schuster, Schneider und Fahrradreparateure, um nur einige Beispiele zu nennen. Von der Steuersenkung erhoffe sich das Land laut woman.at auch einen Aufschwung der Reparaturdienstleisterbranche, der neue Arbeitsplätze, darunter auch welche für Migranten ohne die für den schwedischen Arbeitsmarkt üblichen Qualifikationen, schaffen könnte.

Was kostet eine solche Steuersenkung das Land?

Laut Gesetzentwurf beziehungsweise entsprechenden Pressemeldungen soll die Steuersenkung mit 270 Millionen schwedischen Kronen (SEK), wobei ein Euro derzeit 9,6 SEK entspricht, also mit gut 28 Millionen Euro subventioniert werden. Dazu kämen dann noch etwa 190 Millionen SEK (gut 19 Millionen Euro), die die schwedischen Verbraucher als Reparaturkosten in der Einkommenssteuererklärung geltend machen würden (sogenannter Steuerabzug).

Neue Chemiesteuer soll Reparatursubventionen finanzieren

Die Reparaturumsatzsteuersenkung würde den schwedischen Staatshaushalt demnach mit gut 48 Millionen Euro belasten. Ein Batzen Geld, der irgendwo her kommen muss. Eine „Chemiesteuer“ soll mehr als 200 Millionen Euro bringen, hofft Schwedens Regierung. Die Chemiesteuer würde das Neukaufen von Haushaltsgeräten und PCs teurer machen, weil der Verbraucher über den höheren Preis an den Recyclingkosten der Geräte beteiligt werden würde.

Lohnt sich das Reparieren? In Schweden: Ja!

Wenn der schwedische Gesetzentwurf in Gesetz gegossen wird – und dafür stehen die Zeichen offenbar gut, denn auch die bürgerliche Opposition, die laut SWP „zu Steuersenkungen und weniger Staat neige“, finde die Idee grundsätzlich ganz gut, wobei sie betone, dass die Linksregierung Steuerbelastungen an anderer Stelle erhöhe und damit die gewünschten Effekte neutralisiere (andere Quellen schreiben: „… Steuerlasten an anderen Stellen zu erhöhen, um die Wegwerfbeihilfe zu finanzieren“) – dann würde man in Schweden auf die Frage „Lohnt sich das Reparieren?“ schon ab Januar 2017 mit einem Ja! antworten. Die entsprechenden Budgetverhandlungen finden im Dezember im schwedischen Parlament statt.

Auswirkungen von Schwedens Vorstoß auf andere Staaten

In Österreich begrüßen die Grünen den schwedischen Gesetzentwurf. Sie selbst legen „im Rahmen des Umweltausschusses einen Maßnahmenkatalog ‚Reparieren statt wegwerfen‘ vor, der recht ähnliche Vorschläge beinhalte. Eine ermäßigte Mehrwertsteuer wie Schweden sie plane, hielte sie neben anderen Maßnahmen für sinnvoll, sagte die Klimasprecherin Christiane Brunner der Onlineausgabe der österreichischen Zeitung Der Standard.

In Deutschland zahlen wir derzeit 19 Prozent Umsatzsteuer auf Reparaturen. Käme Schwedens Gesetz, lägen wir damit deutlich über dem schwedischen Umsatzsteuersatz. Und auch beim Ausfüllen der Einkommensteuererklärung könnten die Schweden dann deutlich höhere Beträge „abziehen“ als wir: „Derzeit dürfen Deutsche nur Reparaturen von Haushaltsgeräten absetzen, die bei ihnen zuhause repariert werden, und das nur zu 20 Prozent. Nur wer sein Mobilgerät beruflich benutzt, darf Reparaturen als Werbungskosten absetzen. Leider haben deutsche Politiker (noch) kein Pendant zur schwedischen Vorlage entworfen“, bewertet das deutsche Portal iDoc+, das sich nach eigenen Angaben der Reparatur mobiler Geräte verschrieben hat.

Ist die Steuersenkung das beste Mittel, einer Wegwerfgesellschaft den Wert „Behalten“ beizubringen?

In Schweden glaubt man, dass die Steuersenkung die wesentlichen Kosten senken würde und so zu einem ökonomisch-rationalen Verhalten der Menschen führe. Zumindest sagte das der eingangs bereits zitierte Per Bolund, Schwedens Minister für Finanzmarkt und Konsumenten, dem „The Guardian“. Bolund, der eine der treibenden Kräfte hinter dem Gesetzentwurf ist, erhoffe sich demnach vom neuen Gesetz einen Ansporn dahingehend, dass sich eine neue „home-repairs service industry“ entwickle. Die bräuchte es auch, denn ein Umschwenken infolge Umdenken der Verbraucher „weg vom Wegwerfen – hin zum Behalten (Reparieren)“, würde eine Menge Arbeit für Reparaturdienstleister bedeuten, deren Zahl in Schweden wie in anderen Wegwerfgesellschaften in den letzten Jahrzehnten eher geringer geworden ist.

Ich denke, dass eine solche staatliche Subvention ein probates Mittel ist, um den Status quo zu verändern. Sie ist sicher nicht das beste Mittel, denn sie ist ein staatlich regulierender Eingriff in eine Struktur, die sich auch von selbst ändern würde, wenn denn alle „weg vom Wegwerfen“ wollten. Ganz zu schweigen davon, dass die Gelder für staatliche Subventionen den Verbrauchern oft anderswo abgeknöpft werden.

Das neue ökonomisch-rationale Wertebewusstsein, wie es Bolund erhofft, setzt eine Bewusstseinsänderung und zugehöriges Handeln voraus: Zwei Dinge, die ich derzeit nicht sehe. Nur ein Beispiel: Solange Hersteller noch mit Absicht technische Ausfälle ihrer Geräte einplanen (Stichwort: geplante Obsoleszenz, mehr dazu hier auf dem Blog), weil sie am Neukauf ihrer Produkte viel verdienen, ziehen sie am anderen Ende des Seils, während am hiesigen Ende – wenn überhaupt – der ein oder andere bereits bewusst handelnde Verbraucher zieht. Seien wir doch ehrlich: Noch manifestieren die meisten Verbraucher mit ihrem Konsumverhalten die Wegwerfgesellschaft. Und damit stehen sie einer grundlegenden Änderung der Gesellschaft im Weg. Einem solchen, durchaus als Fehlverhalten anzukreidenden, Verhalten kommt man derzeit wohl nur mit staatlicher Regulierung bei. Allerdings sollte die auch bei den Herstellern stattfinden. Die dann übrigens nicht nur langlebige, sondern auch reparable und recyclingfähige Produkte auf den Markt bringen müssten.

In diesem Sinne sage ich: Bra gjort, Sverige! Und den Deutschen empfehle ich: „Nachmachen!“

 

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