Was sind selbstlernende Recyclingquoten?

Gepostet von am 16. Jul 2015

Was sind selbstlernende Recyclingquoten?

In der aktuellen Diskussion um das Wertstoffgesetz fällt immer wieder der Begriff „selbstlernende Recyclingquoten“. Die sollen eine Alternative zu den aktuell in der Kreislaufwirtschaft benutzten Quoten sein. Was aber sind selbst lernende Recyclingquoten? Wie unterscheiden sie sich von den jetzigen Quoten? Und warum brauchen die aktuellen Recyclingquoten überhaupt Alternativen?

Was eine Recyclingquote per definitionem ist, habe ich kürzlich hier erklärt. Heute soll es um die sogenannten selbstlernenden Recyclingquoten gehen. Derzeit sind dazu einige Definitionen im Umlauf, eine kleine Auswahl stelle ich hier vor:

Selbstlernende Recyclingquoten – viele Definitionen

Recyclingquoten sollten, so zitiert der Deutschlandfunk den Recyclingexperten bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Thomas Fischer, „immer dem Stand der Technik angepasst werden“, denn, „so kommt man dann eben auch immer zu beweglichen selbstlernenden Quoten.“

Im selben Beitrag des Deutschlandfunks wird auch die Meinung von Janis Winzer zitiert: Der ist Fachmann für produktbezogenen Umweltschutz am Berliner Fraunhofer Institut IZM. Demnach dürften Quoten nicht fix sein, denn „nach einer gewissen Zeit erreicht man die beispielsweise, dann tritt der Effekt ein, dass sich niemand mehr Mühe gibt, also gerade auf der privatwirtschaftlichen Seite.“ Janis Winzer plädiere laut Deutschlandfunk „für dynamische, selbstlernende Quoten, die eine Steigerung nach oben belohnen.“

In einem Infopapier des Fachverbandes Kartonverpackungen für flüssige Nahrungsmittel e.V. fand ich folgende Definition: „Anspruchsvolle Recyclingquoten: ‚Selbstlernende‘ Recyclingquoten, die sich am technisch möglichen und wirtschaftlich vertretbaren orientieren.“

Die Tageszeitung „Die Welt“ berichtet hier, dass Herbert Snell, Geschäftsführer der Kunststoffverwerter MultiPet Gesellschaft für PET Recycling sowie der Multiport Recycling, eine selbstlernende Quote präferiere, die sich nach dem Erreichen bestimmter Werte immer wieder erhöhe.

Und in dem Beschluss des Bundesrates (Drucksache 244/14 vom 11.7.14) „Siebte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung“ heißt es: Der Bundesrat vertritt die Auffassung, dass unabhängig von den Festlegungen der Organisationsverantwortung mit dem neuen Wertstoffgesetz ambitionierte, selbstlernende Recyclingquoten insbesondere bei Kunststoffen mit einer werkstofflichen Quote von mindestens 50 Prozent der erfassten (nicht wie bisher der lizenzierten) Mengen vorgeschrieben werden müssen.“

Damit habe ich einerseits schon eine ganze Reihe von Attributen gesammelt, die teils synonym, teils ergänzend auf die Recyclingquote bezogen werden:

  1. selbstlernend,
  2. beweglich,
  3. nicht fix,
  4. dynamisch,
  5. anspruchsvoll
  6. und ambitioniert.

Andererseits lässt sich aus den – ich schreibe mal salopp: Wünschen an künftige (im Rahmen eines neu geschriebenen und im Vergleich zum jetzigen nachhaltigeren Wertstoffgesetzes geltende) Recyclingquoten schließen, was an den derzeitigen zu kritisieren ist.

Ich lese im einfachen Umkehrschluss daraus, dass die aktuellen Recyclingquoten:

  • nicht selbstlernend,
  • unbeweglich,
  • fix,
  • undynamisch,
  • anspruchslos
  • und unambitioniert sind.

Ob das tatsächlich gut oder schlecht ist, erschließt sich mir nicht auf den ersten Blick. Wichtig bei der Klärung der Frage, was selbst lernende Recyclingquoten sind, ist jedoch nicht die Begriffsdefinition allein.

Wozu brauchen wir selbstlernende Recyclingquoten?

Um genau den von Janis Winzer oben genannten Effekt auszubremsen oder gar ganz zu vermeiden, den ich hier mal „Ermüdungseffekt“ nenne: „dass sich niemand mehr Mühe gibt, also gerade auf der privatwirtschaftlichen Seite“ … Wobei ich das sich-Mühegeben ganz klar auf stetig steigende Recyclingquoten und damit stetig nachhaltigere Ressourcenschonung beziehe.

Denn, so schreibt es auch das Umweltbundesamt (UBA) in seiner „Analyse und Fortentwicklung der Verwertungsquoten für Wertstoffe“ (Reihe: Texte 40/2012(!)), künftige Quoten sollten als lenkende Instrumente, auch Lenkungsinstrumente, zur Ressourcenschonung konzipiert werden. In der buchstäblich vielseitigen Analyse stehen viele spannende Infos zum Thema, ich picke mir hier nur die in meinen Augen wichtigsten Ab-/ Sätze heraus. Zum Beispiel den:

„Die Vergangenheit lehrt, dass fixe Vorgaben nach Überschreiten ihre Lenkungsfunktion verlieren, ohne dass bereits optimale Verhältnisse erreicht wurden … Quoten, die sich selbständig nachregulieren, können diesen signifikanten Mangel beheben. Dabei würden die vorgeschlagenen Quoten … nur als Mindestvorgaben definiert, die dann ihre Gültigkeit verlieren, wenn sie im Vorjahr überschritten wurden. An ihre Stelle tritt dann der Vorjahreswert. Um eine längere Planungszeit der verantwortlichen Systeme zu ermöglichen, könnte auch der Vorvorjahreswert herangezogen werden. Auf diese Weise würde sichergestellt, dass es in der Praxis einer hochwertigen Abfallverwertung keine Rückschritte, sondern im schlimmsten Fall eine Stagnation gibt.“

Nur der Vollständigkeit halber noch das neue Attribut für meine Liste:

  1. selbständig nachregulierend

Besonders spannend in dem Zusammenhang fand ich noch diese Textstelle der Analyse des UBA: Sollen Quoten als Lenkungsinstrument wirksam sein, muss eine Nichterfüllung von Quoten (und anderer Vorgaben) an Rechtsfolgen gekoppelt werden. Dafür ist eine Mess- und Prüfbarkeit der Vorgaben im Vollzug besonders wichtig.“

Den derzeitigen Quoten erteilt das UBA in der Analyse eine Abfuhr, die deutlicher nicht sein könnte: „Die derzeit gültigen Quoten der VerpackV haben ihre Lenkungswirkung verloren.“ Ein Grund dafür sei der Bezug der Quotenermittlung auf die lizenzierte Menge an Verpackungen. Da längst nicht alle in Verkehr gebrachten Verpackungen bei den Systembetreibern lizenziert würden, sei die Verwertungsquote umso höher, je geringer der Lizenzierungsgrad sei. Dies konterkariere die Ziele der Kreislaufwirtschaft und der VerpackV.

Und um das Ganze abzuschließen, zitiere ich noch zwei Absätze aus der Analyse des UBA:

  1. „Aus den vorgenannten Aspekten folgt, dass durch eine Optimierung des Entsorgungssystems signifikante Steigerungen der Ressourceneffizienz möglich sind. Modifizierte und angepasste Quotenvorgaben als Lenkungsinstrument sind hierzu zwingend erforderlich.“
  2. „Das bevorzugte Quotenmodell wurde außerdem so entwickelt, dass es sich ‚selbstlernend‘ veränderlichen rohstofflichen und technischen Bedingungen anpasst, um die Lenkungsfunktion dauerhaft zu gewährleisten. Die oben genannten Quoten werden bei Überschreitung in mindestens 25 Prozent der vorgelegten Nachweise für das Folgejahr angepasst und durch den niedrigsten Wert des Quartils ersetzt. Wesentlich ist nicht zuletzt, dass wirksame Sanktionen verankert werden. Bei Nichterreichung von Vorgaben werden monetäre Sanktionen vorgeschlagen, die höher liegen als die möglichen Kosteneinsparungen bei Nichterfüllung.“

Als Verbraucher auf der Suche nach der Erklärung, was selbstlernende Recyclingquoten sind und wie sie sich von den herkömmlichen Recyclingquoten unterscheiden, bin ich damit einen großen Schritt weiter gekommen. Allerdings frage ich mich anhand des vielen und offensichtlich schon länger öffentlich geteilten Wissens seitens privatwirtschaftlicher und bundesministerialer Experten zum Thema: Warum diskutieren wir immer noch (die UBA-Analyse ist drei Jahre alt!!!), ob selbstlernende Recyclingquoten her müssen oder nicht? Sollten wir sie nicht einfach benutzen?

 

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